Für Sinne und Seele

Schweinfurts 5. Nacht der offenen Kirchen

"Nacht der offenen Kirchen": Einladender Blick auf die kath. Kirche St. Kilian

Schweinfurt, 2. Okt. 2017. „Aufgemacht – Aufgewacht“. Das schon traditionelle Motto mobilisierte in der fünften Schweinfurter Nacht der offenen Kirchen leider nicht so viele Menschen, auf die Straße bzw. in die Gotteshäuser der Innenstadt zu gehen. Weniger als 1500 dürften es gewesen sein, aber immerhin! Nein, die „Umstände“ meinten es heuer nicht so gut: Dieser Montag war ein Brückentag, sprich Urlaubs- oder Shoppingtag zwischen Erntedankfest und Tag der Deutschen Einheit, zugleich dem "Tag der offenen Moschee". Außerdem hatte erst zwei Tage zuvor die "Nacht der Kulturen" mit vielen Attraktionen – sogar inklusive Feuerwerk am Ende – gelockt, noch dazu rund um den Martin-Luther-Platz. Kleiner Trost: Da hatte es schwer geregnet; an diesem Abend aber nieselte es nur.

Das Angebot war wieder vielfältig und topp. Von daher kann jeder Bericht hierüber nur eklektisch und subjektiv ausfallen. Offenbar wollte man allen – Jungen und Alten, Gläubigen und Kirchenfernen – etwas Sinniges bieten. So lauteten (u.a.) die Programmüberschriften: „Abendlob mit allen Sinnen“ bei den Griechisch-Orthodoxen, „Kirche der Sinne“ in St. Anton; „Kirche erleben mit allen Sinnen“ in St. Michael. Dort in der fußläufig vom Zentrum aus kaum mehr erreichbaren St. Michael-Kirche in der Florian-Geyer-Straße begann denn auch schon um 18.00 Uhr die „Nacht“, eineinhalb Stunden vor ihrer offiziellen Eröffnung in St. Johannis:

„Da vorn wird angefangen“, ruft Gemeindereferentin Isolde Löb (Maria Hilf) energisch: Wer schon voreilig in der Kirche ist, muss wieder ganz raus, fast bis auf die Straße. Ein Kerzenweg zeigt die Richtung für die rund 40 Gekommenen an. Ganz auf Kinder eingestellt ist ebenso Löbs Kollegin, Gemeindereferentin Birgit Kestler (Heilig Geist), aber auch für Große lässt sich in der 49 Jahre alten Kirche noch Neues entdecken. Woran eine Kirche zu erkennen sei, fragen die beiden - immer noch draußen - und teilen dazu Fernrohre – schön umwickelte Klorollen – aus. Antworten: am Turm, am goldenen Kreuz. Kirche wird nun definiert: „ein heiliger Raum, ein Ort der Stille, wo wir Gott begegnen, wo wir unseren Glauben feiern“. Und wie verhält man sich da? Spontane Antwort: „leise und langsam“. Jedes Kind bekommt eine Kerze in die Hand gedrückt und darf nun endlich das Kirchenschiff leise und langsam betreten, von genauso gedämpften Orgelklängen empfangen. In Kleingruppen aufgeteilt, werden liebevoll, empathisch Taufstein und Altar gezeigt und deren Bedeutung erklärt.

Offizieller Start der „Nacht“: 19:30 Uhr und wegen des miesen Wetters in statt vor der St. Johanniskirche. Dekan Oliver Bruckmann, sein katholischer Kollege Joachim Morgenroth, der Schweinfurts Gesamtpfarrei Heilig Geist vorsteht, und II. Bürgermeisterin Sorya Lippert haben sich eingefunden. Bruckmann weist darauf, dass sich diesmal verschiedene Konfessionen und religiöse Gemeinschaften beteiligen würden: neben den Katholiken die Griechisch-Orthodoxen, die Evangelisch-Methodistische Kirche, die Biblische Gemeinde und der CVJM. Glaube komme zwar laut Paulus aus der Predigt, aber wortwörtlich übersetzt meine der Apostel: „aus dem Hören“ (Römer 10,17). Zum Hören aber gehörten genauso Lieder, die Botschaft von Bildern oder das, was ein Film erzähle, eben all das, was diese "Nacht" inhaltlich bringe. „Alles dies sind Wege, auf denen Gott von sich hören lässt“. Dazu wünscht der Dekan gute Gedanken und lädt zu Begegnungen und zum Verweilen an den 14 Stationen ein.

Pfr. Morgenroth hält es für interessant, dass im Rahmen dieser Nacht Kirchenräume nicht nur zu einer anderen als der üblichen (Gottesdienst-)Zeit zu erleben sind, sondern auch in anderer, ungewöhnlicher Form und mit unterschiedlichen, ansprechenden Angeboten. Und last but not least dankt die Bürgermeisterin im Namen der Stadt für alle Bemühungen und die Organisation. Jede und jeder könne spüren, wie wichtig Kirche sei: „Nutzen Sie die Gelegenheit, heute der Stimme Ihres Herzens zu folgen!“

In St. Johannis soll es anschließend – laut Programm - „jung.wild.fromm“ zugehen. Neben einer bedenkenswerten Foto-Ausstellung von Julian Alexander Bauer zu den 95 neuen Thesen, die die Evangelische Jugend Bayern im Reformationsjahr formuliert hat, gibt es viel zu hören: unter anderem Unterhaltung pur durch ein Gesangsensemble der Evangelischen Jugend und ein das gesamte Publikum mit einbeziehendes Improvisationstheater.

Aber gleich hinüber nach St. Salvator, wo der Abend mit Gedanken zum Thema „Hören“ beginnt: Das Ohr – so führt Rezitator Uli Hubel aus – sei das Organ, das schon vor der Geburt und auch noch während des Sterbevorganges eines Menschen funktioniere. „Höre, so wird deine Seele leben!“ lautet das Thema. Respondierend dazu das Lied: „Hörst du mein Rufen?“, vorgetragen von Helen Jordan mit warmer Altstimme. Es entwickelt sich ein Dialog zwischen beiden, eine ausgewogene Mischung zwischen Rezitation und Gesang: zwischen chassidischen und anderen tiefsinnigen, heiter-besinnlichen Lebensweisheiten und den Antworten mittels Psalmvertonungen und eigenen Kompositionen. Ein Genuss zu lauschen.

Im zweiten Teil der „Nacht“ in St. Salvator folgt ein ansprechender, anspruchsvoller Vortrag von Tilman Tarach: ein theoretischer Abriss zu Antisemitismus mit Lesung von Exzerpten aus seinem Buch „Der ewige Sündenbock“, das inzwischen in fünfter Auflage erschienen ist. Jurist Tarach spricht die antisemitischen Ressentiments und Klischee-Vorstellungen gegenüber Juden und den Staat Israel in unserer Gesellschaft an und geht auch auf die aktuelle politische Situation zwischen Israelis und Palästinensern ein. Etliche interessierte ZuhörerInnen beteiligen sich rege an der anschließenden Diskussion mit dem Autor. Nur schade, es gibt noch genügend freie Plätze.

Weiter zur Griechisch-Orthodoxen Kirche, unauffällig in der Deutschhöfer-Straße unterhalb von St. Anton gelegen. Man geht wie in einen Felsstollen hinein – und dann ist man auch schon mittendrin. Von den zwanzig BesucherInnen, die hierher gefunden und sich auf den Wandsitzen niedergelassen haben, sind fast die Hälfte Gemeindeglieder: Mit Einkaufstüten beladen, küssen sie beim Eintreten die Heiligen-Ikonen. Vor allem wissen sie, wann es sich zu erheben gebührt, vielmehr: wann man sich überhaupt hinsitzen darf. Ohne Begrüßung der Zaungäste, deren Stehfleisch im Durchschnitt nach zehn Minuten erschöpft ist, beginnt die griechischsprachige Liturgie. Zusammen mit einem Drei-Männer-Chor mit kräftigen, sonoren Bassstimmen stimmt sie Erzpriester Martinos Petzolt aus Würzburg vor der Ikonostase an. Zu verstehen sind immer wieder „Halleluja“ und „Kyrie eleison“. Auf Deutsch wird nur der lange Schöpfungspsalm 104 vorgelesen, und der Erzpriester spricht ein Fürbittengebet, unter anderem „für dieses Land, dieses Volk und für diese Stadt und die Gläubigen, die darin leben.“ Dann wieder liturgischer Vesper-Gesang nach byzantinischem Ritus. Selbst wer, wie der Berichterstatter, 45 Minuten durchhält, erlebt kaum Variationen. Ein-, zweimal schreitet der Priester mit seinem Weihrauchgefäß an den Besuchern vorbei. Irgendwann, so hört man im Nachhinein, habe es die Artoklasia, die Brotsegnung, freilich ohne Konsekration, gegeben: Fünf Brote seien geschnitten und an die Anwesenden verteilt worden, dazu auch Wein.

Inzwischen regnet es draußen stärker. Aber der Treppenweg hinauf zur St. Anton-Kirche ist ja nur ein Katzensprung. Wer eine vielleicht nur spärlich gefüllte, überdimensionierte Halle befürchtet hat, ist positiv überrascht. Über 150 Hörerinnen und Hörer lauschen gerade dem Chor des Alexander-von-Humboldt-Gymnasiums mit 26 Sängerinnen und Sängern, die wohlklingende englische Melodien, wohl Spirituals, zum Besten geben, begleitet von E-Gitarre und E-Klavier – ein öffentlicher Auftritt als lohnendes Übungsfeld. Da die meisten Besucher Jugendliche sind, lässt sich unschwer vermuten, dass es sich bei ihnen ebenfalls um Schülerinnen und Schüler dieses Gymnasiums handelt. Eltern und ein paar Lehrkräfte hinzugerechnet, erklären vollends die Publikumsgröße und das rhythmische Mitklatschen. Im Übrigen bestreitet das Religions-P-Seminar den ganzen Abend und bietet laut Programm „einen ganz neuen Zugang zu den Weltreligionen“ mittels Fühlen, Schmecken, Riechen etc.

Gediegener Fußmarsch zur Evangelisch-Methodistischen Kirche in der Nikolaus-Hofmann-Straße. Man traut sich kaum, die Klinke zu drücken, so still ist es innen. „Blau steht für die Nähe des Reiches Gottes Gottes und das Dreieck für die Dreieinigkeit“. Der Würzburger Germanist Hartmut Schäffer meditiert gerade vor 40 gebannt lauschenden Gästen über die Form- und Farbsprache des Aquarell-Zyklus zum Vaterunser des Malers und religiösen Künstlers Andreas Felger, - jedes der 14 Bilder großformatig an die Wand geblendet. Schäffer ist bei der Schlussdoxologie angekommen: „Denn dein ist das Reich“. Die „Herrlichkeit“ symbolisiere ein goldfarbenes Quadrat, das zugleich die Unveränderlichkeit Gottes bis in Ewigkeit ausdrücke. „Amen.“ Anschließend spielt (noch einmal) der wegen der Raumgröße in Kleinbesetzung erschienene Evangelische Posaunenchor unter Leitung von Wolfhart Berger eine fetzige Melodie. Das Publikum darf sich nun die Felger-Poster in aller Ruhe anschauen oder das Postkarten-Set kaufen, sich am Imbisstisch stärken – und dann ist schon Schluss: 21.30 Uhr.

Überhaupt merkt man dieser „Nacht“ im Vergleich zu den früheren „Nächten“ an, dass sie kürzer ist. Nur wenige Events sind noch um 23.00 Uhr zu haben, weshalb ein gemeinsamer, zentralisierter Schluss, wie noch vor zwei Jahren erst um Mitternacht im Innenhof des Rathauses, keinen Sinn macht.

Die St. Kilian-Kirche, sprich die dort beheimatete Jugendkirche kross, hat aber noch Programm zu bieten. Zudem wirkt sie attraktiv aufgrund ihrer sehenswerten „Lichtspiele“. Ja, die Lichttechnik ist echt beeindruckend, selbst wenn manchmal die Punktstrahler und Beam-Scheinwerfer ein bisschen ausufernd rotieren. Auch das fulminante Orgelspiel in den Pausen bleibt in der Erinnerung haften. Diesmal lautet das dortige Thema: „Seelen-Kunst“. Wer das Theaterstück der Jugendkirche um 20:00 versäumt hat, kommt zwei Stunden später nicht mehr ganz mit. Denn jetzt geht es unter der Headline „Hast du einen Seelenvogel?“ um das dazu im Entstehen begriffene Buch „Der Seelenkäfig“. Die stolze Autorin Mira, eine Schweinfurter Schülerin, ist anwesend und lässt längere Ausschnitte aus ihrem Skript vorlesen. Es dreht sich um einen 16-jährigen Jungen namens Giro, der allmählich aus dem Grau seiner Welt heraustritt und Gefühle kennenlernt. Mehr begreift aber ein spätabendlicher Seiteneinsteiger beim besten Willen nicht. „Einfach mal in Ruhe reindenken und -hören“, ermutigt Moderator und Jugendseelsorger Günter Kirchner. Auf seine Frage, was denn Seele mit Gott zu tun habe, kommt die Antwort: "Gott ist in uns. Gott lebt in der Seele. Ich lasse meine Seele aufblühen."

Die 50-köpfige Hörerschaft halbiert sich zusehends. Aber noch ist was los in den sog. Aktionsecken der Kirche: Ein Kalligraph trägt gerade Tattoos auf die Arme einiger Mädchen auf, dahinter werden „Brotvögel“ nach Mustervorlagen gebacken, und daneben darf man (s)einen „Seelenvogel“ zeichnen und „ihn fliegen lassen“. Dann wird zur Abwechslung der Taizé-Song „Bless the Lord, my soul, and bless God‘s holy name“ angestimmt, ein Papst-Videotrailer gezeigt, anschließend darf man noch Stille und Farbenspiel im Kirchenrund auf sich wirken lassen.

Irgendwie sich selber und seine Seele neu entdeckt habend und auch mit der Welt versöhnt, tritt man den Heimweg an, vorbei am einzigen Verpflegungsstand bei St. Kilian, wo eine Gruppe Nimmermüder beisammensteht. Doch auf dem Gehsteig begegnet einem keine Menschenseele mehr in diesem nächtlichen Außenbezirk Schweinfurts. Mag sein, dass derweil andere für ihre Seele noch den Eingang zum Himmel suchen: „Himmlische Klänge“ gibt‘s nämlich in der Heilig-Geist-Kirche. Aber der Erdenweg dorthin ist für müde Füße zu weit.

So ist wieder eine Schweinfurter „Nacht“ zu Ende gegangen, bei der man seine Seele finden und die fünf Sinne schärfen durfte. Gerne erneut in zwei Jahren, aber bitte nicht mehr an solch einem ungünstigen Termin und bei solch einem Wetter.

 

Erinnern Sie sich noch?: https://www.schweinfurt-evangelisch.de/inhalt/das-war-sie-die-erste-nach...

Nr. 2: https://www.schweinfurt-evangelisch.de/inhalt/nacht-der-offenen-kirchen-...

Nr. 3: https://www.schweinfurt-evangelisch.de/inhalt/dritte-nacht-der-offenen-k...

Und "Nacht der offenen Kirche" Nr. 4: https://www.schweinfurt-evangelisch.de/inhalt/welche-war-die-siegerkirche

Â