Stippvisite in Schweinfurt

Kirchenvertreter aus Seinäjoki zu Besuch im Dekanat

Die Vier aus Seinäjoki (v.l.): Pirjo Aittoniemi (Präsidentin des Kirchenparlaments), Jukka Salo (Erster Pfarrer), Sanna Martzahn (Pressereferentin) u. Pete Ketola (Leiter der Jugendarbeit)

Schweinfurt, 29./30. Nov. 2015. Bekanntlich ist seit 1979 Seinäjoki in Finnland eine von Schweinfurts Partnerstädten. Nach vier Autostunden von Helsinki über Tampere erreicht man im Nordwesten den Ort in der Provinz Vaasa. Aufgrund der Fusion mit mehreren Gemeinden im letzten Jahrzehnt zählt Seinäjoki heute an die 57.000 Einwohner – etwa vergleichbar mit Schweinfurts Einwohnerzahl. Im Einzugsbereich der finnischen Stadt leben sogar 200.000 Menschen, das ist jeder Zweite jener Provinz. Das Stadtbild prägte in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts der Architekt Alvar Aalto, der das heute sogenannte Aalto-Verwaltungs- und Kulturzentrum, ein Bauensemble mit Rathaus, Theater, Bibliothek und einer (evangelischen) Kirche für 1.200 Personen schuf.

Neben der kommunalen Verbindung unterhält seit Längerem auch das evangelisch-lutherische Dekanat Schweinfurt Kontakte zu Vertretern der dortigen Suomen Evankelis-Luterlilainen Kirkko, der Evan­gelisch-Lutherischen Kirche Finnlands. Hierzu leistete der in diesem Jahr verstorbene Franz Lauerbach Pionierarbeit. Im Mai 2008 organisierte die Kirchengemeinde St. Johannis eine Chorreise der Kinder- und der Jugendkantorei sowie der Kantorei nach Seinäjoki (s. LINK: https://www.schweinfurt-evangelisch.de/inhalt/besuch-der-finnischen-partnerstadt-seinaejoki). Sodann fand 2011 dort und in Helsinki der Dekanats-Pfarrkonvent statt – mit vielen Be­gegnungen und intensivem Austausch über die unterschiedlichen Strukturen der finnischen und der bayerischen Landeskirche.

Nun besuchte für zwei Tage eine vierköpfige Delegation aus Seinäjoki das Dekanat: Pfarrer Jukka Salo, die Vorsitzende des Kirchenrates Pirjo Aittoniemi, der Leiter der Jugend­arbeit Pete Ketola und Pressereferentin Sanna Martzahn, die, da beruflich 15 Jahre in Berlin tätig gewesen, als Dolmetscherin fungierte. Direkt vom Flughafen Frank­furt gekommen, nahm die Gruppe an der „Einstimmung in den Advent“ in der St. Johanniskirche teil, um sich danach bei einem Arbeitsessen mit dem Dekan Oliver Bruckmann und seiner Frau, Pfarrerin Gisela Bruckmann, auszutauschen.

Jukka Salo ist quasi in Dekansfunktion Erster Pfarrer von zwanzig Geistlichen, 224 Mitarbeitenden und 3500 Ehrenamtlichen. Seine Großkirchengemeinde mit acht Kirchen umfasst die Stadt und drei weitere Kommunen; dort gibt es sog. „Kapellengemeinden“. Pirjo Aittoniemi steht als Präsidentin dem 39-köpfi­gen, für vier Jahre gewählten Kirchenparlament vor, aus dem wiederum zwölf Mitglieder die Kirchenregierung, die Exekutive, bilden mit Pfr. Salo als Vorsitzendem. Ein Traum im Unterschied zur Situation in deutschen Landeskirchen: Rund 52.000, 84 Pro­zent der Gesamtbevölkerung, sind in Seinäjoki evangelisch-lutherisch.

Neben Informationen generell über Schweinfurt wurden erste Schritte auf dem Weg zu einer insti­tutionalisierten Partnerschaft per Vertrag entweder mit der Kirchengemeinde St. Johannis oder mit dem Dekanat insgesamt angedacht. Ein solcher besteht bereits zwischen den Lutheranern Seinäjokis und der Soproni Evangélikus Egyházközség, der evangelischen Kirche des ungarischen Sopron in der Nähe des Neusiedler Sees, einer anderen Partnerstadt Seinäjokis. Somit ließe sich ein Dreierver­bund realisieren. Angedacht ist etwa, sich über den christlichen Glauben auszutauschen und einander regelmäßig zu besuchen.

Ferner führte die Delegation Gespräche mit den beiden Referenten der Evangelischen Jugend Schweinfurt, Katharina von Wedel und Diakon Marc Leistner, über die Gestaltung der Jugend- und Konfirmandenarbeit sowie über gegenseitige Begegnungen Jugendlicher in naher Zukunft. Mit ei­nem Stab von elf Mitarbeitenden ist Jugendleiter Pete Ketola weitaus besser ausgestattet, hat aber auch weit mehr Konfirmanden, um die 600, zu betreuen. Er sprach von 30 Konfirmations­gottesdiensten jährlich!

An einem weiteren Gedankenaustausch im Dekanat beteiligten sich St. Johannis-Pfarrer Andreas Grell und die beiden Vertrauensfrauen der Kirchenvorstände von St. Johannis und St. Salvator, Elisabeth Dämmrich und Ilse Heusinger. Die Gäste bekundeten großes Interesse an den Wahlmodalitä­ten für den Kirchenvorstand und an seiner Zusammensetzung. Außerdem: Wie sehen Gemein­deleben und Gemeindeaktivitäten hierzulande aus? Wie hoch ist der sonntägliche Gottesdienst­besuch? Überrascht zeigte man sich, dass Schweinfurt keine kommunalen Kitas betreibt, sondern diese unter kirchlicher Leitung beziehungsweise in der Hand freier und anderer Träger stehen. „Bei uns würden die Freidenker scharf dagegen protestieren“, so Sanna Martzahn. In Finnland befänden sich alle Kindergärten und Schulen unter staatlicher Aufsicht.

Die finnisch-evangelische Volkskirche mit über vier Millionen Mitgliedern genießt in der Bevölkerung hohes Ansehen. Bereits 1523 hatte sich Schweden-König Gustav I. Wasa taufen lassen und 1527 in seinem Reich, zu dem auch Finnland gehörte, die Reformation eingeführt. Zur raschen Ausbreitung des evangeli­schen Glaubens trug der Finne Michael Agricola bei, der in den 30er Jahren des 16. Jh.s in Witten­berg bei Luther und Melanchthons studierte, danach in seine Heimat zurückkehrte und dort ab 1550 als Bischof amtierte.

Von daher ist die Sorge über Kirchenaustritte in Finnland nicht so groß wie hierzulande. Zwar verlassen pro Jahr etwa 40.000 ihre Kirche, andererseits sind etwa 16.000 Eintritte zu verzeichnen – und der Rückkehrtrend nimmt zu. Hingegen kehrten allein der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern in den letzten Jahren je zwischen 20.000 und 30.000 Mitglieder den Rücken. Zurzeit gibt es 2,4 Mio. Evangelische im Freistaat.

Recht konkrete Gestalt nahm die Planung einer Gemeindereise der Finnen im Rahmen des Reformationsjubiläums 2017 an: Etwa 25 bis 45 Teilnehmende werden neben den deutschen Lutherstät­ten auch Schweinfurt besuchen, wo zugleich das 475-jährige Reformationsjubiläum der Stadt be­gangen wird. Als geeigneter Zeitpunkt bietet sich dafür geradezu die St. Johannis-Kirchweih vom 17. bis 19. Juni 2017 an.

Aber auch in Finnland wird 2017 groß gefeiert: 100 Jahre staatliche Unabhängig­keit!