Evangelisch-Lutherisches Dekanat gab Studie über die Hintergründe von Kirchenaustritten in Auftrag
Entfremdung. Für Dekan Oliver Bruckmann ist das der eigentliche Hauptgrund, warum Menschen aus der Kirche austreten. Die Kirchensteuer als Ärgernis oder Belastung sei letztlich der Endpunkt des Weges zum Austritt, nicht die tatsächliche Hauptursache. Auch wenn sie bei einer Umfrage als Hauptgrund angegeben wurde. Fast die Hälfte der Befragten gaben da auch an, keine Kirche zu brauchen, um Christ zu sein.
Bruckmann kann sich bei seiner Einschätzung auf eine Emnid-Umfrage stützen, die das Evangelisch-Lutherische Dekanat in Auftrag gegeben hat. Als zweites Dekanat in Bayern übrigens. Den Auftakt machte Fürstenfeldbruck, es folgt Neumarkt in der Oberpfalz, erläutert Bruckmann bei einem Pressegespräch. Natürlich geht es in erster Linie um die Beweggründe der Menschen in den einzelnen Dekanaten, bei drei so unterschiedlichen Regionen wie Fürstenfeldbruck, Schweinfurt und Neumarkt wird aber auch interessant sein, ob sich ein Stimmungsbild, ein Trend abzeichnet.
Zwischen 2005 und 2011 haben die 27 Gemeinden aus dem Dekanat Schweinfurt 3043 Mitglieder verloren. 996 durch Umzug, 1019 durch demografischen Wandel (es starben mehr Leute, als Kinder getauft wurden) und 1028 durch Austritt. Gut ein Drittel der Ausgetretenen machte bei der Umfrage mit, beantwortete 31 Fragen. Für Bruckmann und Siegfried Bergler, im Dekanat für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig, schon mal erfreulich, dass die Menschen bereit sind, darüber zu reden, warum sie die Kirche verlassen haben. Die Hauptgründe laut der Umfrage: Kirchensteuer, „Ich kann auch ohne Kirche Christ sein“, „geärgert über kirchliche Mitarbeiter“ und „ich brauche keine Religion im Leben.“
„Wir haben eine echtes Problem mit den 14- bis 29-Jährigen“, ist für Bruckmann einer der Hauptpunkt der Umfrage, die er den kirchlichen Gremien und Pfarrern schon vorgestellt hat. Nicht nur wird das Thema Jugendarbeit wichtiger, den Gemeinden bricht die Basis weg. Und damit ein Stück Zukunft. 39 Prozent der unter 30-Jährigen haben in der Umfrage angegeben: „Ich brauche keine Religion im Leben.“ Die jungen Leute sind sehr entfremdet, meint Bruckmann, sinniert, ob das ein allgemeiner gesellschaftlicher Trend ist. Nachwuchssorgen haben ja schließlich auch die Vereine, viele Organisationen klagen darüber, dass sich die jungen Leute nicht mehr engagieren wollen.
Wer austritt, kehrt der Kirche nicht automatisch den Rücken, zeigt die Befragung. Knapp die Hälfte der Ausgetretenen besucht Gottesdienste, nimmt an Feiern wie Taufe, Hochzeit, Konfirmation teil. Überhaupt sind diese kirchlichen Angebote den Menschen wichtig, hier könnte auch ein Ansatz für die Kirche sein, auf die Bedürfnisse einzugehen und so auch Austritte zu verhindern. „Die Menschen sind mit Dingen unzufrieden, die ihnen wichtig sind“, liest Bruckmann aus der Studie. Kann sein, dass die Lieder bei einer Taufe nicht gefallen haben, der Wunschtermin für die Taufe nicht geklappt hat, der Pfarrer schlecht zu erreichen ist. Wie stark ist die Kirche dem Menschen verbunden? Wir gehen wir mit Menschen um? Wie informieren wir? Fragen wie diese müssen sich auch die Kirche und ihre Mitarbeiter stellen.
„Wir wollen daraus lernen“, sagt Bruckmann. Auch, weil die Umfrag gezeigt hat, dass jeder Vierte zweifelte, ob der Austritt die richtige Entscheidung war. Jeder Sechste gab an, seine Entscheidung hätte rückgängig gemacht werden können, zum Beispiel, wenn sich die Kirche modernisiert, offener in ihren Ansichten wird. Umgang mit Homosexualität wäre hier ein Stichwort für Bruckmann. Die Kirche vertrete zu wenig wichtige Werte, wurde weiter kritisiert. Auch ein Punkt zum Nachdenken: „Warum werden die Werte unserer Dienste und Werke wie der Diakonie nicht als unsere Werte wahrgenommen?“ Für Bruckmann noch ganz wichtig: „Wir müssen in Menschen investieren, nicht in Strukturen.“ und jeden einzelnen ernst nehmen. Auch den, der der Kirche den Rücken gekehrt hat. „Ich nehme die Ausgetretenen ernst und lasse mir von ihnen etwas sagen.“
(aus: Schweinfurt Tagblatt vom 22. November 2012, Text: Susanne Wiedemann)