Diskussionsabend über Religionsfreiheit
Schweinfurt, Do., 27. April 2017. Der Verein „Freunde von ‚Schweinfurt ist bunt‘ e.V." hat im März eine Nachdenkkampagne für Demokratie, Toleranz und Mitmenschlichkeit gestartet. Dazu lud er nun zu einem Diskussionsabend in die Rathausdiele zum Thema: „Was heißt Religionsfreiheit? Wo liegen ihre Grenzen?“ ein. Maximilian Grubauer vom Vorstand dieses zivilgesellschaftlichen Bündnisses rief eingangs Artikel 4 des Grundgesetzes in Erinnerung: „Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich. Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.“
Fünf kompetente Vertreterinnen und Vertreter aus den inzwischen 76 Mitgliedsorganisationen von „Schweinfurt ist bunt“ standen Rede und Antwort. Moderiert wurde der Abend von „Mainpost“-Redaktionsleiterin Susanne Wiedemann und ihrem Mann, „Mainpost“-Kulturchef Mathias Wiedemann.
Sie stellten dem evangelisch-lutherischen Dekan Oliver Bruckmann die erste Frage, was denn christliche Werte seien, auf die sich die Gesellschaft wieder stärker berufe. „Es sind prägende Handlungsgrundlagen, die es aber jeweils neu mit Leben zu füllen und zu definieren gilt.“ Werteaneignung geschehe durch gesellschaftlichen Dialog, durch ständige Vergegenwärtigung im Miteinander-Reden der verschiedenen Weltanschauungen und Religionen.
Mehmet Ciy, Vorsitzender der DITIB-Moschee in der Wirsingstraße, betonte, jeder dürfe seine Religionsfreiheit wahrnehmen, jedoch ohne dabei die Religionsfreiheit des anderen einzuschränken. Publikumsapplaus erntete er, als er auf die Frage, ob es ihn nicht störe, dass der Staat Kirchensteuer einziehe, Bischöfe und Theologieprofessoren besolde, antwortete: „Wir leben in einem christlichen Land.“ Als Moslem sei er damit einverstanden, Kirche und Staat nicht zu trennen. Selbst das Kreuz im Klassenzimmer störe ihn nicht.
Für die strikte Trennung von Staat und Kirche votierte hingegen Wolfgang Günther, stellvertretender Vorsitzender des Bundes für Geistesfreiheit Schweinfurt K.d.ö.R, der sich selbst als Atheisten und in der Runde als „totalen Außenseiter“ bezeichnete. Statt konfessioneller Religionsunterricht sollte in Schulen Lebenskunde, Ethik und Religion auf freiwilliger Basis gelehrt werden, wie dies bereits in Berlin der Fall sei. Zwar müsse jede Religionsgemeinschaft das Recht besitzen, ihre Werte zu vermitteln, doch an öffentlichen Schulen habe Religionsunterricht nichts zu suchen.
Sodann versuchte Dekan Bruckmann, „eine Lanze für Konflikte zu brechen“, indem er auf die Position des jüdischen Religionsphilosophen Martin Buber verwies, dass man erst im Gegenüber vom Ich zum Du sich selber finden könne. Daher solle man sich vor Kontroversen nicht fürchten. Auch Dilek Öznur von der Alevitischen Gemeinde in Schweinfurt betonte: „Ich will keinen Einheitsbrei“, doch gelte es, das Ich und Du zu einem einvernehmlichen Wir zu bringen.
Dr. Albrecht Garsky, Leiter der Katholischen Erwachsenenbildung, konzedierte weiterhin bestehende Streitpunkte zwischen Evangelischen und Katholiken und kritisierte andererseits, dass Religion leider oft für politische Zwecke missbraucht werde, um gerade dadurch anderen die Freiheit zu nehmen.
Von einem christlichen Abendland zu sprechen, geht laut Günther nicht. „Die Deutungshoheit ist nicht den Kirchen zu überlassen.“ Die Väter des Grundgesetzes hätten vielmehr ein Miteinander aller Strömungen, geistlichen und geistigen Gemeinschaften auf Augenhöhe gewollt. Zwar gehöre das Christentum mit zum Abendland, aber genauso die Aufklärung. Sie habe im Widerstreit mit den Kirchen die Wissenschaft und den Zweifel gebracht. "De omnibus dubitandum": "An allem ist zu zweifeln"; damit berief er sich auf Karl Marx. Auch die Alevitin Öznur würde lieber von universellen statt von christlichen Werten sprechen.
Die anschließende Beteiligung des etwa 70-köpfigen Auditoriums an der Diskussion fokussierte sich recht einseitig auf den Islam, – sicher Ausdruck von Angst, aber auch von Vorurteilen: So wurde etwa gefragt, wie es denn um die Religionsfreiheit bestellt sei, ob zum Beispiel der Religionswechsel eines Moslem zum Christentum möglich sei, wie westlicher Lebensstil im islamischen Religionsunterricht bewertet werde und ob die Ausbildung von Imamen in der Türkei nicht eher Hassprediger hierzulande hervorbringe. Auf Widerspruch stieß die These von Mehmet Ciy: „Menschen machen Fehler, die Religionen an sich nicht“ und dass die Ablehnung von Werten seitens einiger Jugendlicher nichts mit der Religion zu tun habe. Dilek Öznur wehrte sich gegen die Unterstellung, ihre Religionsgemeinschaft würde sich nach außen abschotten. Vielmehr lernten ihre Mitglieder von klein auf Zivilcourage und Einsatz für die Gesellschaft und für die Menschenrechte.
Ferner bemängelten einige Publikumsstimmen die unterschiedliche Zahl der religiösen Feiertage, hätten sie gerne durch vom Staat verordnete gesetzliche Feiertage ersetzt. Dagegen hielt Atheist Günther ein starkes Plädoyer für die Beibehaltung des Sonntags – und zwar wegen der Arbeitnehmerfreundlichkeit dieses Tages.
Irgendwie fehlte dem Abendgespräch aber die Brisanz. Einen (zu) kleinen gemeinsamen Nenner meinte Moderatorin Susanne Wiedemann zu erkennen, als sie statt für die Zehn Gebote für „praktizierte Nächstenliebe“ votierte: „wenn jeder nett wäre ...“ und dazu an die Maxime Friedrichs des Großen, jeder solle nach seiner Fasson selig werden, erinnerte. Dazu passte, dass Wolfgang Günther die von der Toleranzidee geprägte Ringparabel Lessings („Nathan der Weise“) in Ausschnitten vortrug. Eine Frau aus dem Publikum konterte: „Alles ist hier ein bisschen zu nett.“ Sie zitierte wiederum aus einer Studie, dass Evangelische und Katholische islamfeindlicher als Religionslose eingestellt wären.
Am Ende verteilte Bündnissprecher und Vorstandsvorsitzender Frank Firsching Blumen und Boxbeutel-Präsente an die Diskutanten. Bruckmanns Frage „Wie werden wir lernfähig als vernünftige Menschen?“ blieb im Raum stehen.
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