Pfarrkonvent 2019 in den italienischen Waldensertälern

Die Pfarrerinnen und Pfarrer des Dekanats besuchten die kleine protestantische Schwesterkirche in Norditalien

Bild des Benutzers Heiko Kuschel
Schwer zu erreichen, aber eine fantastische Aussicht: Das ökumenische Zentrum Agape in Prali

22 Pfarrerinnen, Pfarrer und Ehepartner aus dem Dekanat Schweinfurt begannen den Monat Juli gleich am Montag früh um 6: Um diese Zeit startete der Bus, der sie nach Torre Pellice brachte. Der kleine Ort am Eingang zu einem der drei piemontesischen Täler in der Nähe von Turin, in denen sich die Waldenser in Zeiten der Verfolgung zurückgezogen hatten und noch heute in relativ großer Zahl leben, wurde zum Ausgangspunkt für Besuche in der näheren und weiteren Umgebung.

Die Waldenser haben eine lange Tradition: Schon drei Jahrhunderte vor Martin Luther hatte Petrus Valdes in Lyon eine neue Bewegung von Laien- und Wanderpredigern gegründet, die in Armut lebten, die Bibel in die Alltagssprache übersetzen ließen und – anders als die nur wenig später gegründeten Franziskaner – von der katholischen Kirche bald als Ketzer verurteilt wurden.

Immer wieder wurden die Waldenser verfolgt, einmal fast ausgelöscht. Auch ihr Rückzugsgebiet, eben jene Waldensertäler, waren kein sicherer Ort für sie; insbesondere im 17. Jahrhundert schien
das Ende ihrer Glaubensgemeinschaft gekommen; nur wenige überlebten im schweizerischen Exil und teilweise auch in Deutschland. Erst 1848 erhielten sie in Italien Relgionsfreiheit. 

Weltweit zählt die Waldenser-Kirche heute etwa 98.000 Mitglieder, davon allein 47.500 in Italien, wo sie seit 1979 mit den Methodisten eine gemeinsame Kirche bilden. Als kleine Minderheitenkirche im römisch-katholischen Italien gelingt es ihnen aber, insbesondere durch ihre diakonische Arbeit positive Akzente zu setzen. 

Nach einer intensiven Führung durch das Waldenser-Museum in Torre Pellice, das die wechselhafte und häufig von Gewalt und Unterdrückung geprägte Geschichte der Waldenser zeigte, gab es am ersten Nachmittag eine Führung durchs Angrogna-Tal, bei der schon die Besonderheiten der Verfolgungssituation deutlich wurden: Eine schwer zugängliche Grotte mitten im Wald diente eine Zeitlang als geheimer Versammlungsort. Aus einer anderen, freieren Zeit stammt die kleine, schlichte Dorfkirche – die Waldenser nennen sie „Tempel“ - und die Dorfschule. Bis heute legen die Waldenser großen Wert auf Bildung und die Verbreitung von Büchern.
Der zweite Tag in Turin machte deutlich, wie eng die kleinen protestantischen Kirchen in Italien ökumenisch zusammenarbeiten: Die waldensische Vikarin Sophie Langeneck und der lutherische Dekan Heiner Bludau begrüßten die Gruppe gemeinsam im waldensischen Tempel von Turin und berichteten von ihrer Arbeit als kleine Minderheitenkirchen. 

Auch heute sind die Waldenser stark diakonisch ausgerichtet. Es gibt Obdachlosencafés, Kleiderkammern und außerdem die Arbeit mit Flüchtlingen, die den einst verfolgten Waldensern ein außerordentlich großes Anliegen ist. In enger Zusammenarbeit mit der Föderation der protestantischen Kirchen nimmt die kleine waldensische Kirche im ganzen Land Flüchtlinge auf; an vielen Orten, etwa auf Lampedusa, arbeiten auch die katholischen Gemeinden mit.

Durch die rechtsgerichtete italienische Regierung wird die Arbeit heute deutlich erschwert. Zwar gibt es Vereinbarungen mit dem Staat, jedoch müsse die Kirche darauf achten, vom Staat nicht als Aushängeschild missbraucht zu werden, wenn sie Aufgaben übernimmt, die eigentlich der Staat erledigen müsste.

Vikarin Langeneck berichtete auch von den Herausforderungen, vor die sich die Gemeinden angesichts der neuen Ankömmlinge gestellt sehen: Wie gelingt es, gemeinsam mit den Flüchtlingen Gottesdienstformen zu entwickeln, in denen sich alle gemeinsam wohlfühlen können? Wie gelingt Mehrsprachigkeit oder reicht die italienische Sprache aus? Da viele besonders in der Anfangszeit noch nicht ausreichend Italienisch konnten, wurde das ursprüngliche Konzept der rein italienischsprachigen Gottesdienste zumindest in Turin wieder aufgegeben. Heute gibt es regelmäßige Gottesdienste in englischer und französischer Sprache.
Auch Dekan Bludau berichtete in diesem Zusammenhang von den Erfahrungen der ursprünglich deutschsprachig geprägten lutherischen Gemeinden: Hier wechselt die Gottesdienst-Sprache heute auch innerhalb des Gottesdienstes zwischen Deutsch und Italienisch, die Predigt ist abwechselnd in einer der beiden Sprachen. Die jeweils andere Sprache liegt zum Mitlesen aus.

Am dritten Tag bestieg die Reisegruppe einen extra angemieteten kleineren Bus, der die engen kurvigen Straßen in das Bergdorf Prali bewältigte. Prali ist der einzige Ort, in dem die Mehrheit der Bevölkerung der waldensischen Kirche angehört – etwa 210 Waldenser und 30 Katholiken gibt es dort; im Winter kommen dazu Tausende von Winterurlaubern. Pfarrer Vito Gardiol berichtete in sehr humorvoller Weise vom Gemeindeleben in dieser außergewöhnlichen Gemeinde: Wie gestaltet sich Gemeindeleben, wie ist der Gottesdienstbesuch? Wie kann Jugendarbeit gelingen und was bedeutet es für eine Gemeinde, wenn praktisch alle Gemeindeglieder im Tourismus beschäftigt sind und beispielsweise am Sonntagvormittag überhaupt keine Zeit für einen Gottesdienstbesuch haben?

Den Abschluss bildete ein Besuch im oberhalb von Prali gelegenen ökumenischen Zentrum Agape (griechisch für „Liebe“). Der waldensische Pfarrer Tullio Vinay hatte nach dem Zweiten Weltkrieg zu internationalen Versöhnungstreffen eingeladen, aus denen die Idee entstand, ein festes Versöhnungszentrum zu errichten. Innerhalb von nur vier Jahren errichteten Jugendliche aus der ganzen Welt praktisch ohne Geld und mit einem Minimum an Hilfsmitteln aus den vorhandenen Steinen und Materialien dieses Zentrum. Grundgedanke beim Bau war die Gemeinschaft: Heute gibt es dort eine regelmäßg wechselnde internationale Gruppe von „Residenten“ und Freiwilligen, die für ein bis fünf Jahre dort gemeinsam leben und arbeiten, internationale Treffen organisieren und dazwischen andere Gruppen beherbergen. Durch das intensive gemeinsame Leben entstehen Bindungen, die die jungen Menschen fürs ganze Leben prägen – und darüber hinaus Verbindungen über die ganze Welt hinweg, die tatsächlich zur Versöhnung beitragen, so wie Tullio Vinay sich das erträumt hatte: Eine kleine Gemeinschaft, die sich miteinander verbunden fühlt und Versöhnung in die Welt hineinträgt.

Selbst als Gemeinschaft gestärkt und in dem Bewusstsein, Teil der weltweiten Gemeinschaft von Christinnen und Christen zu sein, machte sich der Pfarrkonvent dann am frühen Freitagmorgen wieder auf die fast vierzehnstündige Heimreise. 
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