Herbstsynode des evangelischen Dekanats befasst sich mit neuem Reformprozess
Schweinfurt, 14. Okt. 2017. Mehr Teilnehmer als angemeldet waren ins Evangelische Gemeindehaus in die Friedenstraße gekommen, rund 70. Neben den Synodalinnen und Synodalen hatte das Thema weitere Interessierte aus den Dekanatsgemeinden gelockt. Denn die Herbstsynode des evangelischen Dekanats Schweinfurt bildete einen Workshop zu einem innovativen Prozess, den die Landessynode der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern erst im März 2017 bei ihrer Tagung in Coburg gestartet hatte. Titel dieses umfassenden missionarischen Reformvorhabens: „Profil und Konzentration“ (kurz: PuK).
Bereits die Andacht führte in die Problematik ein: Angesichts des diesjährigen Reformationsjubiläums erinnerte Pfarrerin Christel Mebert (Bad Kissingen) an das, was Luther vor allem wichtig war: weg vom „Eventcharakter“ der Kirche zur Konzentration auf Wort und Sakrament. Da Kirche semper reformanda (ständig reformationsbedürftig) sei, müsse immer wieder ein neuer Reformprozess mit realistischem Blick in die Zukunft angestoßen werden. Aufgrund nach unten gehender Mitgliederzahlen gelte es, Abschied von der Volkskirche zu nehmen und eine „Jüngerkirche“ anzustreben: Wie einst Jesu Jünger die Frohe Botschaft in die Welt hinaustrugen, so habe Kirche dorthin zu gehen, wo die Christen zu Hause sind, eben in ihren ganz normalen Alltag und an den Arbeitsplatz. Mit anderen Worten: Die bisherige „Komm-Struktur“ mit der Erwartungshaltung, dass Menschen zur Kirche kommen, sei abzulösen von der „Geh-Struktur“ zu den Menschen hin.
Zwei Experten für diesen neuen kirchlichen Aufbruch standen Rede und Antwort: Kirchenrat Thomas Prieto Peral, theologischer Planungsreferent der Evang.-Luth. Kirche in Bayern, und Pfarrer Michael Maier (Erlangen) als Moderator des PuK-Prozesses. Zunächst resümierten sie anhand von Zahlen den Ist-Zustand: In Bayern gibt es 2,4 Mio. Evangelische in 1538 Kirchengemeinden. Doch immer noch verlassen jährlich etwa 30.000 Menschen (0,8 Prozent) die Kirche, weil sie offenbar dort nicht das finden, was sie suchen. Im Durchschnitt hat ein Geistlicher mindestens 1222 Mitglieder zu betreuen. Zurzeit sind – inklusive Sonderpfarrstellen – 2400 Pfarrerinnen und Pfarrer tätig. Aber auch ihre Zahl wird in den kommenden Jahren rapide abnehmen, zum einen aufgrund einer hohen Pensionierungswelle, zum anderen, weil derzeit nur geringes Interesse am Theologiestudium besteht. Folglich können viele Stellen in Zukunft nicht mehr besetzt werden. Wie also auf diese Herausforderungen reagieren?
Frühere kirchliche Planungen zielten ab auf Stellenstreichung und Kürzungen an Geld und Personal. Man fragte: Was kann / muss alles wegfallen? Aber nun findet eine Neubewertung unter der Fragestellung statt: Was machen wir gut? Wo können wir uns weiterentwickeln, das heißt profilieren und geistlich konzentrieren? Daher lautet die Devise: „Von Mangelperspektive zur (Wieder-)Entdeckung unserer Gaben und Aufgaben“.
Als vier zentrale Anliegen des PuK-Prozesses nannte Prieto Peral:
1. Statt von bestehenden (teils überholten) kirchlichen Strukturen und finanziellen Zwängen her zu denken, ist vom biblischen Auftrag und von konkreten Aufgaben auszugehen.
2. Zentralisierung ist aufzugeben. Vielmehr sind inhaltliche Schwerpunkte eigenständig und dezentral vor Ort zu vereinbaren und zu steuern.
3. Es darf kein Einzelkämpfertum der PfarrerInnen bis zur Erschöpfung mehr geben. Kirche ist nicht unbedingt vom Pfarramt aus zu organisieren. Stattdessen muss ein Berufsgruppen übergreifender Gemeinschaftsgeist herrschen, ein Zusammenwirken der Geistlichen mit Haupt- und Ehrenamtlichen, mit Sozial- und Religionspädagogen sowie Diakonen, auch ein Miteinander von Kirche und Diakonie.
4. Statt Fixierung auf den eigenen Kirchturm (sog. Kirchturmdenken) ist Kirche im gemeinsamen Lebens- und Sozialraum zu gestalten. Gemeindeegoismen gilt es aufzubrechen. So sollen sich Regionen bilden, die Aufgaben aufteilen und Synergieeffekte nutzen. Muss denn zum Beispiel jede Gemeinde Senioren- oder Jugendarbeit anbieten? Werden überhaupt noch parochiale Grenzen gebraucht? Die neuen Stichworte lauten: Grenzüberschreitung, Regionalisierung, doch ohne sich dabei den Menschen vor Ort zu entziehen.
Kurzum: Man werde sich von Gewohntem trennen müssen und nicht etwa noch mehr kirchliche Angebote machen, sondern „Mut zum Minus“ zeigen. Brauche es denn in allen gemeindlichen Außenstellen regelmäßig Sonntagsgottesdienste trotz nur geringen Besuches? Kirchenrat Prieto Peral: „Etwas Neues entsteht, wenn anderes gelassen wird.“
Des Weiteren listete er thesenartig auf, was denn die Grundaufgaben der Kirche sind: Sie verkündigt Christus und lebt geistliche Gemeinschaft. Sie klärt Lebensfragen und begleitet Lebensphasen seelsorgerlich. Sie ermöglicht christliche und soziale Bildung. Sie macht die Not von Menschen sichtbar und hilft Notleidenden. Sie haushaltet nachhaltig und gerecht.
Natürlich stellte sich in diesem Workshop die Frage der Konkretion. Sie wurde in Kleingruppen diskutiert und die Ergebnisse auf einer Pinnwand zusammengetragen: Unter anderem kam der Vorschlag, die seelsorgerlichen und administrativen Aufgaben im Pfarramt auf verschiedene Schultern zu verteilen. Eine Pfarrerin oder ein Pfarrer müsse mehr Zeit für Menschen haben. Einzelseelsorge sei die Grundaufgabe. „Kirche ist da, wo Menschen sind!“ Auch wie Defizite in der Kinder- und Jugendarbeit zu beheben seien und wie man das sog. „Mittelalter“ – Menschen zwischen 25 und 60 Jahren – besser erreichen könne, kam zu Sprache. Einig waren sich alle darin, dass Kirche zugänglicher sein und niederschwellige Angebote machen müsse. So lautet ein strategischer Leitsatz des PuK-Prozesses: Menschen mit ihren heutigen Lebensfragen sollen einen einfachen Zugang zur Mensch gewordenen Liebe Gottes finden.
Und wie weiter? Bis Januar 2019 werden die einzelnen Kirchengemeinden, Dekanatsbezirke und kirchlichen Einrichtungen eine Art Bilanz hinsichtlich ihrer Gaben und Aufgaben erstellen. Auch soll die nächste landeskirchliche Stellenplanung anders gehandhabt werden: Es wird Globalstellenkontingente geben und die Entscheidung über die Verteilung nicht mehr von München aus erfolgen, sondern auf die mittlere Ebene, sprich auf die 66 bayerischen Dekanatsbezirke verlagert werden.
Am Ende der Tagung bedankte sich Dekan Oliver Bruckmann für die vielen Voten und Anregungen. Eine große Chance liege im regionalen Denken und in der übergreifenden Kooperation und Verantwortung. Sicher werde dabei auch Trauerarbeit nötig sein, denn Loslassen, Abschiednehmen von liebgewonnenen Traditionen oder das Aufgeben von Gebäuden bringe Schmerzen mit sich. Nicht jede Gemeinde müsse alles machen. Bewusst gelte es nicht nur Prioritäten, sondern genauso Nachrangigkeiten zu definieren. Der Dekan appellierte, bei allen weiteren Diskussionen in den Kirchenvorständen sich an den Bedürfnissen der Menschen von heute zu orientieren. „Lasst uns von den Menschen aus denken!“
Ein Regularienteil zu Finanzen, Veranstaltungen und Terminen rundete die Dekanatssynode ab.