Es ist schon Donnerstag, der 18. April
Früh übt sich, wer die Schule schaffen will. Das Visitationskalendarium zeigt um 8.45 Uhr den Besuch der Grundschule Schweinfurter Rhön an, der einzigen Schule in der Großgemeinde Üchtelhausen als Träger. Aber die neun verschiedenen Ortsteile tatsächlich zu integrieren, schafft auch sie nicht. Am Zugang steht zwar noch der Titel „Verbandshauptschule“, aber die gibt’s hier nicht mehr, sondern nur noch 102 GrundschülerInnen mit fünf Lehrkräften. Beruhigend, dass zumindest diese Zahl in den nächsten Jahren stabil bleiben wird. Bedarf im Ganztagsbetrieb ist allerdings nicht gegeben.
Die dynamische Rektorin Kerstin Weber stellt dem Visitationsteam, darunter Pfrin. Valerie Ebert-Schewe, die hier schon kurzfristig als Vertretungskraft Reli-Unterricht erteilen musste, den nur an 20 ausgewählten Grundschulen in Bayern gestarteten pädagogischen Modellversuch „Flexible Grundschule“ vor: eine jahrgangskombinierte Eingangsstufe, die bis zu einer Dauer von drei Jahren zu absolvieren möglich ist, und jahrgangsgemischte Klassen. Damit beträgt die Grundschulzeit zwischen drei und fünf Jahren. Zu den positiven Effekten zählt, dass die Schüler mehr Zeit zum Erlernen der Grundkompetenzen im Schreiben, Lesen und Rechnen erwerben und auch einüben, mehr Rücksicht aufeinander zu nehmen. Das Zwischenzeugnis wird ersetzt durch ein sog. Lerngespräch mit Lehrer, Schüler und Eltern betreffs Lern- und Sozialverhalten. Überhaupt ist die Zusammenarbeit zwischen Schule und Elternhaus in Form einer „offenen Kommunikation“ wesentlich intensiviert.
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Lauter Redakteurinnen warten inzwischen sehnsüchtig in Madenhausen auf Herrn Dekan: das Gemeindebriefteam ZWM (Zell-Weipoltshausen-Madenhausen), das liebe- und niveauvoll, voller Empathie, in mehreren Redaktionssitzungen dieses umfangreiche Informationsorgan vierteljährlich zusammenstellt und in einer Auflage von 620 Stück publiziert. Es transportiere viel von der Atmosphäre der Gemeinden, kommentiert Dekan Bruckmann und hebt u.a. das geistliche Wort der Pfarrerin hervor. Auch komme dadurch die Kooperation der drei Kirchengemeinden sinnfällig zum Ausdruck.
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Gemeindesekretärin und –faktotum Christa Ebert führt anschließend durch „ihre“ Madenhauser Kirche. Die Kirchengemeinde gehörte bis 1961 zu Maßbach, danach zu Thundorf; erst seit dem 1.1.1972 ist sie nach Zell-Weipoltshausen orientiert, wohin bezeichnenderweise damals nur ein Feldweg führte.
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Kurzfristig ins Visitationsprogramm aufgenommen wird die Beerdigung eines Maßbacher Gemeindegliedes, an der fast der ganze Ort Anteil nimmt. So also demonstriert man Gemeinschaft nicht nur in fröhlichen, sondern auch und gerade in traurigen Stunden. Pfr. Dr. Weich findet sowohl auf dem steil aufragenden Gottesacker am offenen Grab als auch anschließend in der Kirche unten im Tal einfühlsame, tröstliche Worte: „Meine Zeit steht in deinen Händen“ (Psalm 31,16).
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Fliegender Szenenwechsel: Klaus Bub wartet schon am ehemaligen Synagogenstandort in Maßbach auf den Dekan und seinen Begleittross. Bub leitet das Museum in Poppenlauer mit Exponaten über „Steinzeit, Ritter und alte Knacker“ und hat sich autodidaktisch in die jüdische Geschichte der Marktgemeinde eingearbeitet, ja förmlich eingelebt, um nicht zu sagen: sein Herzblut dafür vergossen. Einst gab es hier 500 jüdische Bürger, 1933 nur noch 33, heute keinen mehr. Die Synagoge brannte 1720 ab, wurde aber – unter Protest des evangelischen Pfarrers! – wieder aufgebaut, ehe sie die Nazis vor genau 75 Jahren in der sog. Reichskristallnacht endgültig verwüsteten.
Herr Bub hält mahnend die Erinnerung daran wach, hat deshalb in Eigeninitiative einen Dokumentationsraum dort im abbruchreifen Haus eingerichtet und zufällig im Dachboden einen Sensationsfund gemacht: nämlich eine Schatzkammer, hebräisch „Geniza“, gefunden, d.h. einen Hohlraum zur Aufbewahrung ausgedienter jüdischer heiliger Schriften - lauter ausrangierte, weil beschädigte Bibel- und Gebetstexte. Diese Zeugnisse jüdischen Glaubens aus den letzten drei Jahrhunderten lässt er derzeit wissenschaftlich auswerten und sucht nun geradezu verzweifelt nach neuen Präsentationsräumlichkeiten. Hier müssten Kirche und Kommune gemeinsam ihre Verantwortung gegenüber der Geschichte erkennen und eine tragfähige Lösung finden.
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Nun aber rasch noch einmal hinaus aufs (nicht ganz) flache Land zum letzten Milchbauernhof von Poppenlauer. Wer sich bisher unter einer „Ortsbäuerin“ eine betagte, ausgemergelte Frau vorstellte, dürfte mehr als positiv überrascht sein. Bianca Hochrein, eher zierlich und gerade Anfang 20, betreut in ihrem väterlichen Hof einen Stall, eher eine Halle mit - inklusive Nachwuchs - 140 Tieren, darunter 60 Milchkühe; jede produziert täglich 25-30 Liter. Dafür fressen sie auch vier Tonnen Futter, das in riesigen Gras- und Maissilos bereit steht. Bäuerin Hochrein hat fast jeder Kuh einen Namen gegeben, obwohl diese nach sechs bis zwölf Jahren geschlachtet werden. Ihr bereitet die Arbeit „total Spaß“ trotz der mindestens sechs Stunden pro Tag im Stall: „Bei uns gibt es keine Feiertage“. Trotzdem hat sie zum Visitationsauftakt im Sonntagsgottesdienst mit im Posaunenchor gespielt. Bald hofft sie, ihren Meisterbrief zu machen. Alle Achtung! Gegenüber ihrer Euphorie und Energie bleibt ihr Vater nüchtern und zeichnet die Zukunft eher düster. 38 Cent pro Liter Milch reichen gerade, um so lala über die Runden zu kommen.
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Zurück in Madenhausen beim Treff aller für Kinder- und Jugendarbeit im Zellergrund Verantwortlichen - zusammen mit Dekanatsjugendreferentin Katharina von Wedel, auch dies laut Dekan „ein notwendiger Baustein im Rahmen der Visitation“. Welch eine überraschend bunte Palette von Aktivitäten wird ihm da präsentiert: Kindergottesdienst, Kinderbibeltag, Jungschar mit Krippenspielbeteiligung, Präparandenbetreuung u.a. Freilich: oft fehlt der Bezug der Kinder zur Kirchengemeinde, und die Arbeit mit Jugendlichen gestaltet sich schwierig; sie finden Kirche uncool: „Da können sie nicht machen, was sie wollen.“ KV-Mitglied Gertrud Morgenstern plädiert für eine kirchliche Seelsorge und Hilfestellung gerade für Kinder z.B. kurz vor den Zeugnissen, vielleicht in Form eines „Tages der offenen Kirche“.
Fazit des Dekans: „Es ist doch schön, dass etwas läuft. Ich möchte dafür werben, sich darüber zu freuen.“ Harmonisch am Ende die Arbeits-Brotzeit mit Hausmacherwurst und Käse; schließlich gehört auch das Kennenlernen der Essgewohnheiten der Gemeinden zu einer Visitation.
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Tag Nr. 5 endet wie Tag 4 mit einer KV-Sitzung, diesmal in Weipoltshausen mit den 14 KirchenvorsteherInnen der drei Zeller Gemeinden. Nach einem beschaulichen Anspiel von Pfrin. Ebert-Schewe, jede und jeder möge sich einen passenden von auf dem Boden ausgebreiteten Bibelsprüchen aussuchen und sich darüber austauschen, kam man rasch zur eigentlichen Sache, dem gerade für eine Dreiviertelmillion - mit öffentlichen und kirchlichen Mitteln - renovierten Zeller Pfarrhaus, das nun beziehbar ist. Der KV würde es verständlicherweise gern vermieten: „Wir brauchen das Geld. Wir müssen Unkosten decken.“ Denn laut Dekan muss ab Fertigstellung eine sog. Pfarrhausrücklage zwecks Instandhaltung gebildet werden. Doch was dann, wenn die nächste Pfarrerin bzw. der Pfarrer aufgrund ihrer/seiner Residenzpflicht einziehen will? Laut Mietrecht ist dies kein Kündigungsgrund für die Vormieter. Es wird deshalb über eine zeitlich befristete Vermietung an kirchliche Mitarbeiter oder an einen Ruhestandspfarrer, ja am Ende sogar darüber diskutiert, ob das Haus überhaupt vermietbar sei. Sicher ist momentan nur, dass das Pfarramt dort einziehen und ein Gemeinderaum nutzbar sein wird.
Noch mit diesem „heißen Thema“ (der Dekan) im Ohr, gehen schließlich alle schlafen, denn morgen ist ja wieder ein neuer Tag, der laut Jesus „seine eigene Plage“ hat (Matthäus 6,34).