Noch in der Aufwärmphase

Der Weg in eine inklusive Gesellschaft

Heike Gröner, Vorsitzende des Evang. Frauenbundes Schweinfurt, hat die Inklusionsveranstaltung organisiert

Schweinfurt, 20. Sept. 2012. Eine „Initiative Inklusion“ hat der Evangelische Frauenbund Schweinfurt e.V., namentlich seine Vorsitzende Heike Gröner, mit einer Informationsveranstaltung gestartet, zu der er bzw. sie in die Rathausdiele eingeladen und kompetente Referenten gewonnen hatte.

Laut Bundesministerium für Arbeit und Soziales bedeutet Inklusion, „dass Menschen mit und ohne Behinderung von Anfang an gemeinsam in allen Lebensbereichen selbstbestimmt leben und zusammenleben. Es ist ein Prozess, der von allen Mitgliedern der Gesellschaft gestaltet werden sollte.“

Eigens aus Bonn war die Zweite Vorsitzende des Deutschen Evangelischen Frauenbundes (DEF), Evelyn Bischoff, zu einem Referat über „Inklusion als gesellschaftspolitische Herausforderung“ angereist. Darin nahm sie immer wieder Bezug auf den aktuellen nationalen Aktionsplan der Bundesregierung („Unser Weg in eine inklusive Gesellschaft“) zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention von 2006. Inklusion bedeutet für Frau Bischoff „Teilhabe“, „Selbstbestimmung“ als Gegenteil von „Separation“. Inklusion beende auch das Wechselspiel von Exklusion (= ausgrenzen) und Integration (= wieder hereinholen). 9,6 Millionen Deutsche lebten mit einer Behinderung; das seien mehr als 11,7 Prozent aller Bürger. Weltweit seien es gar über eine Milliarde Menschen. Inklusion müsse sich auf praktisch alle Lebensbereiche wie Arbeit und Beschäftigung, Bildung, Kultur und Freizeit, Bauen und Wohnen erstrecken. Frau Bischoff rief dazu auf, Inklusion als „christliche Verpflichtung“ zu betrachten, von daher gemeinsame Verantwortung für sich und andere zu übernehmen und gemeinsam „das Haus der Inklusion“ zu bauen.

Harald Mantel, der Integrationsbeauftragte der Stadt Schweinfurt, definierte Inklusion als „Gemeinsamkeit von Anfang an“. Sie habe mit der Erziehung und Bildung in Familie, Kindergarten und Schule zu beginnen, um sich dann in aktiver Partizipation am gesellschaftlichen Leben und auf dem Arbeitsmarkt zu zeigen. Im Bereich Bauen und Wohnen sei auf eine bedarfsgerechte Infrastruktur und auf stabile Nachbarschaften zu achten. Auch müsse es lokale Netzwerke für Begegnungen vor Ort geben, ferner eine interkulturelle Öffnung („Willkommenskultur“) möglich sein.

German Saam als Vorsitzender des Behindertenbeirates der Stadt berichtete aus dessen Arbeit als Interessenvertreter behinderter Menschen. Zuallererst müssten freilich „die Barrieren in den Köpfen beseitigt werden.“

In seinem Grußwort sprach Dekan Oliver Bruckmann dem Evangelischen Frauenbund Anerkennung und Dank für seine Inklusionsarbeit aus. Das Programmmotto „Ich und Du“ aufgreifend, erinnerte er an die gleichnamige Schrift des jüdischen Religionsphilosophen Martin Buber und dessen These: „Der Mensch wird am Du zum Ich.“ Uns Menschen gebe es nur in der vielfältigen Beziehung zwischen mir und den anderen, sonst drohe Ich-Verlust. „Jeder andere Mensch, jedes Du, ist wertvoll und notwendig.“ Behindert sei darum auch derjenige, der diese Erfahrungen nicht mache.

Auf diese philosophischen Gedanken folgte seitens des Geschäftsführers Martin Groove pragmatisch die Vorstellung der ein halbes Jahrhundert alten Vereinsarbeit „Lebenshilfe für Behinderte“ in Schweinfurt. Als dessen Ziele nannte er die absolute Gleichberechtigung Behinderter in der Gesellschaft, Normalisierung, volle Anerkennung und Respekt, Selbstbestimmung und Teilhabe. Von Anfang an gehe es um Frühförderung durch Physiotherapie, Logopädie, heilpädagogische Förderung und Musiktherapie. Sodann betreibt der Verein drei schulvorbereitende Einrichtungen, sechs Arbeitswerkstätten inklusive Schlosserei, Malergruppe, Werkstattladen mit Eigenvermarktung von Produkten sowie das „Main-Café“, darüber hinaus im Raum Schweinfurt 21 Wohnheime mit 270 Bewohnern und zwei Wohnpflegeheime mit 19 Bewohnern.

Den Grußwortreigen beendete Reinhold Stiller, Leiter der Offenen Behindertenarbeit der Diakonie, gegründet 1975. Jährlich 600 Menschen würden dort in ihren Lebensfragen begleitet. 120 Mitarbeitende organisierten Freizeiten, betrieben Öffentlichkeitsarbeit oder engagierten sich im Bildungsbereich und im Ehrenamt. Inklusion umschreibe die richtige Haltung zum Nächsten und beginne im Kopf, führte Stiller in seiner Betrachtung über das Zusammenleben mit Menschen mit Handikap aus. Sie befinde sich leider immer noch „in der Aufwärmphase“. Zusammen mit der OBA-Presseprojekt-Gruppe war er erst kürzlich zu den Paralympics nach London gereist, um für die MAINPOST zu berichten.
Stiller schloss mit einem bedenkenswerten Zitat von Dr. Peter Radtke (AG Behinderung und Medien): „Inklusion ist wie ein Traum. Er kann wahr werden, muss aber nicht.“

Zur musikalischen Auflockerung dieses wortreichen Nachmittags trugen ein eben erst gegründeter Chor der Lebenshilfe und der Kinderchor „Die kleinen Tröpfchen“ (Leitung: Olga Baluyev) bei. Nun muss Inklusion eigentlich nur noch praktiziert und auch vom Ich zum Du bzw. vom Du zum Ich hin beherzigt werden.

Inklusion - vielleicht entpuppt sie sich doch nur als Illusion oder Traum?