Die 95 Thesen vom 1.7.17

Aktion der Evangelischen Jugend Schweinfurt

Julian Alexander Bauer, Vorsitzender der Dekanatsjugendkammer, als Johannes Gutenberg verkleidet, posiert neben gekröntem Martin Luther: "Martin Luther King" (Darauf muss man erst mal kommen)

Schweinfurt, Sa. 01. Juli 2017. Ein Thesenanschlag nicht am 31.10., sondern am 1.7. - warum? Weil sich in diesem Datum – bei gutem Willen! – die Zahl 17 erkennen lässt. Und 1517 war bekanntlich das Jahr des Thesenanschlags. Darauf muss man erst mal kommen. Und warum nicht am 31.10.? Weil es da landauf landab garantiert genug Gottesdienste und Gedenkfeiern geben wird.

Unter dem Titel „Reformation Reloaded“ (eingedeutscht: „Reformation neu aufgelegt“) hatte die Evangelische Jugend Bayern (EJB) ein Jahr lang Thesen und Wünsche von Jugendlichen, Konfirmanden und Ehrenamtlichen zu konkreten Veränderungen in den Bereichen Kirche, Politik und Gesellschaft gesammelt. Fragestellung: Was können wir heute noch von Reformatoren wie Jan Hus, Ulrich Zwingli, Johannes Calvin oder Martin Luther lernen?

Lernziele: Die innovative Kraft der reformatorischen Freiheit soll für Jugendliche erleb- und erfahrbar gemacht werden und die Evangelische Jugend sich als ein sichtbarer Teil dieser Kraft und Bewegung verstehen. Damit sich Kirche immer wieder neu aus sich heraus reformiert („ecclesia semper reformanda“ - wie die alten Kirchenlateiner zu sagen pflegten), sollen Jugendliche mutig und selbstbewusst ihre Wünsche und Forderungen äußern, Verantwortung übernehmen, Veränderungen anregen und dadurch Kirche mitgestalten.

Sage und schreibe 271 Thesenvorschläge gab es. Daraus wurden 95 ausgewählt. Und die sollten nun - eingebunden in spektakuläre, öffentlichkeitswirksame Aktionen – publik gemacht werden. „Es wird bunt, kreativ, meditativ, politisch“, hieß es vorab vollmundig in einer Pressemeldung.

Die zentrale Veranstaltung zusammen mit Landesbischof Dr. Heinrich Bedford-Strohm fand an besagtem 1. Juli in St. Sebaldus in Nürnberg statt, aber bayernweit gab es in Dekanaten und vielen Gemeinden special events. Auch die Evangelische Dekanatsjugend Schweinfurt präsentierte sich – natürlich auf dem Martin-Luther-Platz. Wo denn sonst! Den Rahmen bot dort ein Mittelalter-Markt. Verschiedenes - wie Bogenschießen, mit Federn schreiben, Luther backen - konnte ausprobiert werden. Daneben kam der Magen zu seinem Recht, - neben Steaks und Bratwürsten: hausgebrautes, handgeschöpftes Bier. Die Teamer-Riege aus Obereisenheim/Bergtheim leistete full service.

Leider hielten das trübe Wetter und städtische Konkurrenzveranstaltungen den Besucherstrom arg in Grenzen. Maximal 40 bis 50 Köpfe inklusive der aktiv Mitwirkenden wurden gezählt, darunter eine stattliche Konfirmandengruppe aus der Christus-Kirchengemeinde, angeführt von Vikarin Johanna Thein. Sie alle erlebten unter anderem eine Live-Begegnung mit Martin Luther und seiner Frau Katharina, gespielt von den beiden Schweinfurter Dekanatsjugendreferenten Diakon Marc Leistner und Katharina von Wedel, in ihrer Auseinandersetzung mit dem Ablassprediger Johannes Tetzel.

Und wo wurden die neuen Thesen angeschlagen? Leider waren die nur in Normalschrift auf DIN-A4-Blättern an zehn aufgestellten, ausgemusterten Türen befestigt, - nicht etwa mittig, sondern ganz oben, wo selbst Erwachsene Leseschwierigkeiten hatten. Immerhin aufgeteilt in 9,5 Themenfelder wie „Gerechtigkeit stärken“, „Vielfalt annehmen“ oder „Schöpfung bewahren“ war da z.B. zu lesen:

„Wir fordern ein schnelleres und härteres Vorgehen gegen extremistisches Gedankengut.“ „Wir wünschen uns eine offenere, unvoreingenommenere und wenig konservative Kirche.“ „Wir fordern einen stimmberechtigten Jugendvertreter im Kirchenvorstand.“ „Wir fordern Menschlichkeit vor Geld und Macht als erste Priorität.“ Darüber hätte man wahrlich trefflich disputieren können ...

Zum Abschluss dieses Nachmittags gab‘s um 17:00 Uhr eine Andacht in der St. Johanniskirche. „Was hat‘s gebracht?“ wurde in einem weiteren Anspiel gefragt und darauf geantwortet: „Wir haben tolle Sachen gemacht.“ „Und was war der Sinn?“ „Echt was zu verändern und kritisch nachzudenken.“ Nicht viele sangen das Lied der Reformation „Ein feste Burg ist unser Gott“ mit. Vielleicht lag‘s an der Orgelbegleitung, denn eine These lautete: „Wir wollen Musik im Gottesdienst nicht nur mit der Orgel, sondern mit kirchlichen Bands.“ Beeindruckend aber das Glockengeläut um exakt 17:17 Uhr (remember: 1.7.17!). Denn da herrschte absolute Stille – und das angeblich bayernweit.

Im Übrigen: Die ausrangierten zehn Türen mit den Thesen wurden von Kindern und Jugendlichen kreativ bemalt. Nun sollen sie an verschiedenen öffentlichen Orten für einige Tage ausgestellt werden. Welche Kirchengemeinde ist noch ohne?