Glaube - Toleranz - tolerant aus Glauben

Gottesdienst am Reformationstag in St. Johannis

Dekan Oliver Bruckmann (r.) mit Festprediger Altbischof Prof. Axel Noack

Schweinfurt-St. Johannis, 31.10.2013. Wenn leider zwei verschiedene Gottesdienstzeiten kommuniziert werden, wählt man halt als Beginn die „goldene Mitte“, in diesem Fall 19:15 Uhr. Erwartungsgemäß füllte sich die St. Johanniskirche bis halb acht. Denn der zentrale Reformationstagsgottesdienst im Dekanat ist längst Tradition.

Wie in den Vorjahren konnte Dekan Oliver Bruckmann viele Besucherinnen und Besucher aus der gesamten Dekanatsregion begrüßen, darunter, neben Pfarrerinnen und Pfarrern, einige Bürgermeister, allen voran Schweinfurts OB Sebastian Remelé mit Frau Monika, sowie „Schwestern und Brüder aus der Ökumene“, etwa den ev.-methodistischen Pastor Andreas Jahreiß.

Im Rahmen der Luther-Dekade ist das Jahr 2013 dem Thema „Reformation und Toleranz“ gewidmet, das auch diesen Abend bestimmte. Kritisch fragte der Dekan in seiner Begrüßung: „Waren Luther und die anderen Reformatoren nicht alles andere als tolerant?“ Und: „Haben nicht diejenigen recht, die sagen, dass die Welt ohne die Religionen friedlicher wäre?“

So ging es im Folgenden um die Verhältnisbestimmung von Glaube und Toleranz. Mittels der Kompromissformulierung „Tolerant aus Glauben“ versuchte Festprediger Axel Noack darauf zu antworten. Zu seiner Person: Pfr. Noack, 1949 im Kreis Niesky (Görlitz) geboren, war von 1997 bis 2008 Bischof der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen in Magdeburg und nach der Fusion mit Thüringen noch ein halbes Jahr einer der beiden Bischöfe der (neuen) Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM). Seitdem befasst er sich als Honorarprofessor an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg mit der Aufarbeitung der Kirchengeschichte der DDR-Zeit. Etlichen Schweinfurtern war der Altbischof noch in lebendiger Erinnerung durch sein couragiertes Streitgespräch mit dem Atheisten und Philosophen Dr. Dr. Joachim Kahl im Stattbahnhof vom März dieses Jahres (nachzulesen unter: https://www.schweinfurt-evangelisch.de/inhalt/wahrer-trost-oder-pure-illusion)

Er begann seine kurzweilige, immer wieder zum Schmunzeln einladende Predigt mit dem humorigen Hinweis, dass in seiner Heimat heute ein offizieller Feiertag sei, in Schweinfurt aber nicht; „dafür sind hier lauter fromme Leute.“

Martin Luther habe den Glauben „eine verwegene Zuversicht“ genannt. Denn Glaube bedeute keine Vertröstung auf ein besseres Jenseits, sondern wolle die Zustände dieser Welt verbessern. Aber kommt vom Glauben auch Friedfertigkeit? Ist nicht eher der Glaube „ein großer Bremser der Toleranz“? Den Eingangsimpuls des Dekans aufgreifend: „Die Welt wäre toll und friedlich, wenn’s keine Religion gäbe!“

Toleranz werde heutzutage eher zu banal im Sinne von Gleichgültigkeit (miss)verstanden. Letztlich sei jedoch Toleranz etwas sehr Anstrengendes. Nicht zufällig bedeute das lateinische Wort tolerare „erleiden“. Deshalb: „Was ich toleriere, muss ich eigentlich für falsch halten.“ Doch dass ich es dennoch aushalte und akzeptiere, sei gerade Ausdruck von Toleranz, während Indifferenz einen Gegenbegriff dazu darstelle.

Vom Glauben sollte für die Menschen eine Gelassenheit und fest gegründete Zuversicht ausgehen, die sie selber stabil mache. Es folgten „Spitzensätze“ des Bischofs wie: „Die Menschen, die sich vor Gott beugen, können vor Menschen gerade stehen.“ „Die Glaubenden sind ein bisschen stabiler. Die geben nicht so schnell auf.“ Deswegen sollten wir alle gelassener mit widerstrebenden Meinungen umgehen. Also doch: „Tolerant aus Glauben“!

Zur Stützung dieser These zitierte der Bischof aus einem fiktiven Brief eines Pastors an seinen jungen Nachfolger, verfasst von Johann Wolfgang von Goethe (1773): ein Aufruf zur Gelassenheit und Toleranz. Besagter Pastor schreibt darin z.B.: „Weiß ich, wie mancherlei Gottes Wege sind? So viel weiß ich, dass ich auf meinem Weg gewiss in den Himmel komme, und ich hoffe, dass er andern auch auf dem ihrigen hineinhelfen wird.“

Dann wieder der Bischof a.D.: „Wir sollen begreifen, dass Gott und Liebe Synonyme sind“, deshalb eine Inventur am Reformationstag machen und uns ehrlich fragen: Was hat Gott bereits an Gutem in meinem bisherigen Leben an mich gewendet? Wo habe ich Spuren seiner Güte gefunden? Was hoffe ich für diese Welt?

Noack kritisierte die Weltpessimisten allerorts. „So schlimm wie heute war’s noch nie“: Regelrecht bestürzt zeigte er sich über diese Äußerung einer 80-Jährigen, die er zum Geburtstag besucht hatte, wo „sich der Tisch vor Essen nur so bog.“

Der Uni-Professor sieht den Auftrag der Kirchen darin, Menschen zum Glauben zu verhelfen – genauso wie Eltern und Großeltern Kinder zum Glauben bringen sollten. Glaube müsse auch immer wieder aufgefrischt werden. Deshalb lud er gleich zum nächsten Sonntagsgottesdienst ein. Aus der Tageslesung (Jesaja 62) zitierte er dazu den Satz „Die ihr den Herrn erinnern sollt, ohne euch Ruhe zu gönnen, lasst ihm keine Ruhe!“ Von daher sein Schlussappell, Gott in den Ohren zu liegen, damit es besser für unsere Welt werde.

Seine missionarisch-erweckliche Predigt unterstrich, weshalb Axel Noack seit langem auch Beauftragter des Rates der EKD für den missionarischen Dienst der Kirche ist.

Neben dem Dekan als Liturg gestalteten Kirchenmusikdirektorin Andrea Balzer an der Orgel und der Evangelische Posaunenchor unter Leitung von Wolfhart Berger die festliche Stunde, die durch den verschobenen Beginn 90 Minuten dauerte, ansprechend und würdig aus. Natürlich durfte der Choral von der "festen Burg" nicht fehlen.

Der Dekan lud anschließend zu Begegnung und Gespräch bei einem Stehempfang in der Kirche ein, was liebend gern angenommen wurde.

 

Wollen Sie über die Reformationstagsgottesdienste der letzten Jahre und ihre berühmten Prediger nachlesen?

2012: Bischof Friedhelm Hofmann: https://www.schweinfurt-evangelisch.de/inhalt/ein-zweiter-christus-werden

2011: Reinhard Höppner: https://www.schweinfurt-evangelisch.de/inhalt/archiv-2011ii-juli-dezember (Nr. 5)

2009: Regionalbischof Christian Schmidt: https://www.schweinfurt-evangelisch.de/inhalt/archiv-2009ii (Nr. 3)

2008: Oberkirchenrat Theodor Glaser: https://www.schweinfurt-evangelisch.de/inhalt/archiv-2008ii (Nr. 3)

2007: Oberkirchenrat Gotthart Preiser: https://www.schweinfurt-evangelisch.de/inhalt/archiv-2007 (Nr. 8)

 

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