(Doch nicht die) letzte Andacht am Kernkraftwerk Grafenrheinfeld

Monatlicher Treffpunkt bei Jesus am Wegkreuz; er schaut bewusst vom Kernkraftwerk weg

Grafenrheinfeld, 26. April 2015. Eigentlich sollte es die allerletzte Andacht am Wegkreuz im Angesicht des Kernkraftwerks und seiner Schutzzäune sein. Eigentlich. Deshalb waren unter den gut dreißig zu Fuß, per Fahrrad oder Auto Gekommenen auffallend viele Presseleute mit Kameras. Denn seit 1987, seit also 29 Jahren, gibt es diese ökumenische Andacht in freier Natur immer am letzten Sonntag des Monats. Nie ist sie ausgefallen. Selbst dem Wetter und dem politisch-wirtschaftlichen Gegenwind trotzte man.

„Nun aber“ wird sie doch weiter stattfinden, bekundeten die Veranstalter, die Bürgeraktion Umwelt- und Lebensschutz und die Bürgerinitiative gegen Atomanlagen (kurz: BA-BI). Denn auch nach Abschaltung des KKW Ende Mai wird es weiterhin „Brennpunkte“ geben. So bleibt dem Landkreis Schweinfurt gleich neben der KKW-Ruine das Zwischenlager mit über 40 Castoren erhalten, das eine nicht zu unterschätzende Gefahrenquelle darstellt.

Die BA besteht seit 1972, die BI ist nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl 1986 entstanden. „Wir kämpfen für den sofortigen Ausstieg aus der Atomwirtschaft“, lautet ihre gemeinsame Zielsetzung. Auf einem sage und schreibe inzwischen 80 Meter langen Banner aus Bettlaken und Stoffbahnen, zehn Kilogramm schwer, haben sie alle Störfälle des Kernkraftwerks seit seiner Inbetriebnahme am 9. Dezember 1981 akribisch aufgelistet: „1982 neun besondere Vorkommnisse, 1983 fünf, 1984 vierzehn ...“ - insgesamt 234 „meldepflichtige Ereignisse“ in den fast 34 Betriebsjahren des damit ältesten noch in Betrieb befindlichen Atomreaktors Deutschlands.

Pfarrer Franz Feineis, der katholische Krankenhausseelsorger des Leopoldina-Krankenhauses, gestaltete die Andacht: „Die aktive Zeit neigt sich dem Ende zu. Plan A wie 'abschalten' erfüllt sich.“ Deshalb wolle man sich noch einmal am Kreuz unter das Kreuz stellen. Besonders begrüßte er „die Altvorderen“, womit er diejenigen meinte, die von Anfang an dabei waren, etwa Hubert Lutz, den Vorsitzenden des BA-BI, oder die Gründungsmitglieder Erika und Konrad Wirner.

Mit seiner Gitarre stimmte Pfr. Feineis vor allem Osterlieder, aus eigener Feder zu bekannten Melodien getextet, an, z.B. „Oh, welch ein Wunder, die Auferstehung“. Und um die bekannte Paulusrede, gegen die Auferstehungsleugner in Korinth gemünzt (1.Korinther 15,12-20), drehte sich seine Besinnung: „Nun aber ist Christus auferstanden von den Toten“. Mit diesem göttlichen Aber im Ohr und im Herzen dürfe man den Aufstand im Sinne des Auferstandenen wagen: die scheinbare Ohnmacht des Gekreuzigten gegen die Macht der Kernkraft. Zwar lebten wir alle vom Strom, aber das KKW sei „eine große Macht, die auch zerstörerisch ist“, ja „eine Todesmacht“. An Ostern habe jedoch „die Explosion göttlichen Lebens stattgefunden“.

Gaby Gehrold vom BA-BI-Vorstand erinnerte sodann an die Katastrophe von Tschernobyl, die sich auf den Tag genau vor 29 Jahren (1986) ereignet hatte. Dabei stellte sie das Schicksal des Fotografen Anatoli Rasskasov ins Zentrum: Er hatte, aus einem Hubschrauber hängend, die ersten Fotos der radioaktiven Rauchfahne des zerstörten Reaktorblocks machen müssen, erkrankte danach an Strahlendermatitis und Krebs und verstarb 2010. Was auch nur wenige wüssten: Bis zu 800.000 Liquidatoren hätten unter Einsatz ihres Lebens versucht, den GAU zu stoppen. Die Strahlenkrankheit der wenigen noch Lebenden werde bis heute nicht anerkannt.

Dann aber blickte das BA-BI-Team freudig-erleichtert nach vorn, denn nun aber gilt es ein riesiges Abschiedsfest am Sonntag, dem 31. Mai, auf dem Schweinfurter Marktplatz zu feiern, beginnend um 13.00 Uhr mit einem ökumenischen Gottesdienst, den Pfrin. Eva Loos (SW-Dreieinigkeitskirche) und Pfr. Franz Feineis gestalten werden. Und am letzten Juni-Sonntag (28. 6.) wird Pfarrer Andreas Grell (SW-St. Johannis II), laut BA-BI „der evangelische Kaplan von Schweinfurt“, die Tradition der monatlichen Andacht in Grafenrheinfeld fortsetzen. Nur: Medienvertreter dürften dann kaum mehr vertreten sein.