Zum fünften Mal: Andacht am Gedenkort für die Zwangsarbeiter
Schweinfurt, 26. Sept. 2016. Exakt da, wo im Dritten Reich die Baracken „Mittlere Weiden“ auf den Oberndorfer Wiesen standen, fand bereits zum fünften Mal eine von evangelischen Kirchengemeinden Schweinfurts organisierte Andacht statt. Fast auf den Tag genau, am 25. September 2011, war der Gedenkort für die ehemaligen 10.000 Zwangsarbeiter eingeweiht worden, die bei Kugelfischer und anderswo in Schweinfurt unter menschenunwürdigen Umständen, vor allem gegen ihren Willen arbeiten mussten. Seitdem gibt es hier jährlich ein geistliches Beisammensein. Erfreulich viele KonfirmandInnen von St. Lukas, Gustav Adolf, der Auferstehungs-, Dreieinigkeits-, Christus- und Kreuzkirche hatten sich diesmal eingefunden, doch im Unterschied zum Vorjahr sah man unter den vierzig Besuchern nur wenige Erwachsene.
Pfarrerin Christhild Grafe (Kreuzkirche-Oberndorf) betonte in ihrer Begrüßung, es gehe um das Stiften von Erinnerung an Orten, die Teil unserer Geschichte und Biographie sind, und appellierte an Wachsamkeit und Sensibilität heute.
„Mensch bleibt Mensch“ lautete das Leitthema. Zunächst durften sich die Konfirmanden mit Texten von vier Zeitzeugen auseinandersetzen, die damals kaum älter als sie waren. Per QR-Code konnten sie mithören, dass die meisten Verschleppten täglich zwölf Stunden in den Fabriken arbeiten mussten, kaum Essen bekamen oder bei Bombenangriffen nicht in die schützenden Bunker durften.
Klaus Hofmann, Sprecher der „Initiative gegen das Vergessen“, die seit 1981 durch Aufklärung jedweden rechtsextremen Tendenzen entgegentritt, stellte eingangs seiner Ansprache die Frage: „Was ist der Mensch?“ Antwort: „Brutal, egoistisch einerseits – vernunftbegabt andererseits.“ Den Menschen an sich gebe es nicht, darum auch nicht den Deutschen, den Amerikaner oder den Syrer. Leider vergäßen Menschen sehr schnell und neigten zur Verharmlosung. So würden neuerdings wieder öffentlich Kommentare zu hören sein wie: „Schade, dass die KZs nicht mehr im Betrieb sind.“ Darum sei es unabdingbar, Wissen weiterzugeben und immer wieder darauf hinzuweisen, was damals wirklich geschah. Nur so ließen sich heute leichtfertige und pauschale Urteile, etwa über Asylbewerber, vermeiden.
Pfarrerin Eva Loos (Dreieinigkeitskirche) und Pfarrer Euclêsio Rambo (Gustav Adolf) hielten eine Dialogpredigt, wobei Rambo Fragen stellte und Loos darauf antwortete. Beispielsweise: Warum wurde damals die Menschenwürde mit Füßen getreten? - Sie galt nicht für Juden, Zigeuner und Zwangsarbeiter, weil die Nazis diese als Untermenschen oder als gar keine Menschen ansahen. Wie denken Schweinfurter heute über jene Zeit? - Viele geben sich leider gleichgültig: „Das interessiert mich nicht. Es ist vorbei.“ Und was sagt die Bibel dazu? - Im 1. Kapitel des 1. Mosebuches steht, dass Gott den Menschen erschaffen hat. Das bedeutet: Alle sind gleich geachtet, gleichwertig, gleich würdig. In allen Menschen begegnet Gott oder Jesus, der die sogenannte Goldene Regel lehrte: „Alles, was euch die Menschen tun sollen, das tut ihnen auch.“ Kurzum: „Der Mensch muss Mensch bleiben.“
Immer wieder wurden die rhetorischen Teile durch thematisch passende, nachdenkliche Lieder, begleitet mit Gitarre vom Gemeinde- und Jugendreferenten Johannes Michalik (Auferstehungskirche), aufgelockert: „Gefangen die einen, und die andern leben, und die andern leben, und sie leben nicht schlecht … Herr, guter Gott, erbarme dich.“
Mit dem Vaterunser und einem gemeinsam gesprochenen Friedensgebet endete die Andacht: „Bitte ermögliche, dass irgendwann unsere Kinder und Enkel stolz darauf sind, den Namen ‚Mensch‘ tragen zu dürfen.“ Viele der jungen Leute verließen schweigend den Gedenkort. Zurück blieben acht Rosen, niedergelegt auf der halbrunden Steinbank, auf der Artikel 1 des Grundgesetzes eingraviert ist: "Die Würde des Menschen ist unantastbar."Â