Zur aktuellen politischen Lage
13. Mai 2016: "Brasiliens Staatschefin Dilma Rousseff ist suspendiert, Michel Temer hat als Übergangspräsident die Geschäfte übernommen." So erfahren wir es hierzulande aus den Medien. Für uns ist Brasilien weit weg. Aber unsere Reisegruppe ist direkt vor Ort und hat uns folgenden "hautnahen" Bericht geliefert:
“Heute erleben Sie den Untergang der Demokratie! Ein trauriges Kapitel in der Geschichte unseres Landes!“, teilt uns ein sichtlich erschütterter Hauswirt Juan (Name wurde geändert) bereits zum Fruehstueck mit. Er schildert und erklärt uns mit großer Betroffenheit und Fassungslosigkeit die aktuelle politische Lage und die Situation für die Menschen in seinem Heimatland. „Wir sind geschockt! fährt der Mann fort, „heute Morgen um halb sechs fand eine Art Putsch statt!“ Seine Worte ergreifen uns, und wir versuchen nachzuvollziehen und zu verstehen, was geschehen ist. Die amtierende Präsidentin wurde mit 50:22 Stimmen ihres Amtes enthoben. Nun ist sie 180 Tage außer Amt, und es wird eine Strafverfolgung geben. Danach wird sie wohl nicht mehr gewählt werden. Angeklagt wurde sie von den politischen Vertretern, die selber in höchstem Maß Korruption betreiben. Dilma Rouseff gehörte der Arbeiterpartei an, die seit 14 Jahren an der Macht war. Durch den Umsturz ist nun eine Gruppe von Menschen an der Macht, die nicht vom Volk gewählt wurde. Dabei handelt es sich um die Menschen, die den Putsch forciert haben.
Im Taxi auf dem Weg zur evangelisch-lutherischen Gemeinde Bom Samaritano in Ipanema diskutiert unsere Begleiterin Vilma Petsch heftig mit dem Chauffeur. Auch sie ist entsetzt. Ganz Brasilien verfolgte in einer langen Nacht die unendliche Debatte im Parlament auf dem Bildschirm. In den frühen Morgenstunden fiel die verhängnisvolle Entscheidung. Alle Menschen, denen wir an diesem Tag begegnen, sprechen davon. Pastor Mozart begrüßt uns übernächtigt an der Kindertagesstätte „Creche“. Die Sorge über die politische Lage ist ihm anzusehen. Vilma geht davon aus, dass das Volk auf der Straße demonstrieren wird. Viele Bewohner Brasiliens befürchten nun einen Rechtsrutsch. Die neue Regierung wird die wichtigen und lebensnotwendigen Sozialprogramme kürzen und zahlreiche staatliche Gesellschaften privatisieren.
„Es wird schlimm werden!“, befürchtet die Ehefrau unseres Hauswirtes. Durch die Kürzungen werden die Gewalt und die Überfälle wieder zunehmen. Beklemmung beschleicht unsere Reisegemeinschaft. Wie wird es mit Brasilien und seinen darin lebenden Menschen weitergehen? Diese Frage stellen wir uns alle. Und ich bin sicher, ein jeder von uns weiß, für wen er in dieser schwierigen Zeit beten wird.
Text: Doro Schoenrock-Kirchner