"Einsam bist du klein"
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Gochsheim: Rathaus und St.-Michael-Kirche mit Originalturm von 1511 | Blick in den Chorraum mit Tischaltar und Glasfenstern von 1994 |
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Auch Schwebheims Bürgermeister Hans Fischer (l.) wohnte dem Einzug der Geistlichkeit bei; in der Mitte: Dekan Oliver Bruckmann, hinter ihm: KV-Vertrauensmann Dirk Hachtel | Musste gleich wieder ausziehen: Regionalbischof Christian Schmidt leuchtete mit der Laterne den Kindergottesdienstkindern heim |
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 "Ein Wirtshaus für die Seele": der Regionalbischof über St. Michael | Neben dem Programmheft ein Holzkreuz mit Kachelfragment: auferstanden aus Ruinen |
Gochsheim, 26. Juni 2011. Ein ehemals kaiserlich unmittelbares und freies Reichsdorf wie Gochsheim feiert seine Jubiläen besonders ausgiebig. Ein Weiherelief an einem Stützpfeiler von St. Michael belegt eindeutig: Die erste Kirchweihe fand am 1. Mai-Sonntag 1511 statt. 1540 wurde hier zum ersten Mal ein Gottesdienst in deutscher Sprache nach der lutherischen Lehre abgehalten. 1543 war dann Gochsheim endgültig evangelisch, doch musste die Religionsfreiheit im und nach dem 30-jährigen Krieg 1649 erneut errungen werden, weshalb die Gochsheimer diese zweite Kirchweihe nun jährlich im September begehen. Als Gochsheim 1802 in das Kurfürstentum Bayern eingegliedert wurde, endete die Reichsunmittelbarkeit. Seitdem gehört die Pfarrei sozusagen zur Bayerischen Landeskirche.
Als deren Repräsentant nahm Regionalbischof Christian Schmidt / Kirchenkreis Ansbach-Würzburg am Festgottesdienst teil. Pfr. Wolfgang Stumptner, zusammen mit seiner Frau, Pfrin. Monika Roth-Stumptner, seit 2010 Inhaber der Pfarrstelle, begrüßte die zahlreich vertretene Gemeinde: „Wir wollen voll Freude auf die Treue und Beständigkeit Gottes schauen.“ Orgel sowie Posaunenchor unter Leitung des Amtsvorgängers Pfr. Fritz Sengenberger gestalteten die Feier musikalisch opulent aus. Jede der zahlreichen kirchlichen Gruppen überbrachte einen Blumengeburtstagsgruß, der am Ende ein großes, vielfarbiges Jubiläumsgebinde ergab: der Diakonieverein, das Umweltteam „Grüner Gockel“, Senioren- und Besuchskreis, ökumenischer Frauenkreis, die Evang. Kindertagesstätte und und und. Ein wirklich blühendes, primär von Ehrenamtlichen getragenes Gemeindeleben, wovon insbesondere die Kinderschar zeugte, die in den parallel stattfindenden Kindergottesdienst entlassen wurde.
In seiner Predigt lobte der Regionalbischof denn auch „die fröhliche, bunte Kirche“ und das Gemeindeleben von Gochsheim. Seit 500 Jahren sei St. Michael „ein Wirtshaus für die Seele“. Schmidt nahm Bezug auf den mehrfach gesungenen Kanon „Einsam bist du klein, aber gemeinsam werden wir Anwalt des Lebendigen sein“: In der Kirche gehe es um gemeinsames Leben mit Gott und miteinander. Sie sei der ideale Gebets- und Meditationsplatz. Denn geistlich zu leben, gelinge nur schwer allein. Dies bestätige auch das Evangelium des Tages, die Begegnung zwischen Jesus und dem Zöllner Zachäus, der sich einsam und unglücklich gefühlt habe. Vielmehr gelte es, sich gegenseitig zu stärken, um aus der Verbindung mit Gott und in der Gemeinschaft mit Jesus zu leben.
Explizit sollen wir „Anwalt des Lebendigen“ sein und nicht etwa „Anwalt des Todes und des Verderbens“. Zwecks Illustration präsentierte der Regionalbischof eindrucksvoll ein kleines Holzkreuz, an dem das Bruchstück einer Kachel befestigt war. Dieses Kreuz hatte er anlässlich seines Besuches der evangelischen St.-Petri-Kirche in Sankt Petersburg, der größten lutherischen Kirche Russlands, geschenkt bekommen – zur Erinnerung daran, dass 1962 jene Kirche in ein Schwimmbad umfunktioniert worden war. Erst 1992 wurde sie wieder in ihren ursprünglichen Zustand versetzt. Die Fliese aus dem ehemaligen Bad zeuge vom „Anwalt des Todes“, während das Kreuz als „Anwalt des Lebendigen“ fungiere, genau so wie in St. Michael die Gemeinschaft des einen Gottes gepflegt werde.
Nach dem Gottesdienst, im großen Rund draußen an den Gaden, läutete der Erste Bürgermeister Wolfgang Widmaier, zugleich Erster Vorsitzender des Diakonievereins St. Michael, den Grußwortreigen ein. Er betonte die vielen Schnittstellen zwischen Kirchengemeinde und politischer Gemeinde. Die Gochsheimer Kirchenburg stelle ein sichtbares Zeichen der Beständigkeit im Glauben dar. Widmaier überreichte dem Kirchenvorstandsvorsitzenden Dirk Hachtel eine Sonderzuweisung zur Innensanierung der Kirche.
Im Namen der katholischen Geschwister sprach Pastoralreferent Rainer Weigand von der Pfarrgemeinde St. Matthias, die in diesem Jahr erst ihr 50-jähriges Jubiläum feiert. Besonders wertvoll erachtete er die Ökumene, doch habe in den ökumenischen Veranstaltungen Qualität vor Quantität zu gehen.
Den Abschluss der Grußworte setzte Kathi Petersen in ihrer Funktion als Vorsitzende der Mitarbeitervertretung im evang.-luth. Dekanat Schweinfurt. Derzeit hätten Engel Konjunktur; sie würden bekanntlich als harmlos gelten. Anders St. Michael: Er sei kein gefälliger Engel, halte er doch ein Flammenschwert in der Hand. So wünschte Frau Petersen der Gemeinde eben diesen Mut und die Tapferkeit eines St. Michael.
Am Nachmittag standen u.a. eine geführte Besichtigung der Kirche und des angrenzenden Rathauses, das Theaterstück “Let it be“, dargeboten von der Disharmonie Schweinfurt, und für die Kleineren das Kasperltheaterstück „Das kleine Teufelchen und die Pfannekuchen“ auf dem Programm. Die Andacht mit Abendsegen im Kirchhof bildete den Schlusspunkt der Feierlichkeiten. Der Gemeinde bleibt zu wünschen, was bereits am Morgen die Kinder sangen: „Mach’s gut, Gott geht mit dir.“
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  Pfr. Wolfgang Stumptner moderiert; hinter ihm der Posaunenchor | Wie gewünscht und geplant: fast alle Plätze innerhalb der Kirchgaden sind besetzt |
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Promi-Tisch: Pfrin. Monika Roth-Stumptner, Regionalbischof Schmidt und der heute schweigsam gebliebene Dekan Oliver Bruckmann | Ökumenischer Gedankenaustausch: Pastoralreferent Rainer Weigand und Regionalbischof Schmidt; hinten rechts: Günther Birkle, Vorsitzender des Ortsgeschichtlichen Arbeitskreises Schwebheim |
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Grußworte vom Ersten Bürgermeister Wolfgang Widmaier |    und von der MAV-Vorsitzenden Kathi Petersen |
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Aus der Presse zitiert:
36 Pfarrer in 500 Jahren: Die Kirche Sankt Michael in Gochsheim
[...] Ein kleiner Streifzug durch die Geschichte mit Günther Karl und seiner Jubiläumsschrift:
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Die Kirche wurde 1511 noch unter Pfarrer Hans Türk nach altem Brauch römisch-katholisch geweiht. Bald schon jedoch sympathisierten die Gochsheimer mit Luthers Lehren. Der erste deutschsprachige Gottesdienst soll schon 1540 stattgefunden haben. Der endgültige Bekenntniswechsel war 1543, der erste evangelische Pfarrer hieß Johann Spangenberg.
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Der Kirchenbau selbst musste sich einigen Korrekturen und Renovierungen unterziehen. Der Bau begann um das Jahr 1500 und endete 1511. An Inschriften ist zu erkennen, dass dieses Gotteshaus schon 1552 und 1569 kleinere Umbauten erfuhr. Nach 72 Jahren war die erste große Renovierungsmaßnahme fällig. Der radikalste Eingriff wurde 1872 vorgenommen: Das Langhaus sollte größer und höher werden. Die Gochsheimer waren bereit, einen Teil ihrer Kirche abzureißen, wobei der Turm und der Chor, also der hintere Teil des Gebäudes, weitgehend im Original erhalten blieb.
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Der Turm hat eine Höhe von 37 Metern, der Sockel misst 6,81 mal 6,81 Meter, die Wände hier sind 1,25 Meter stark. Das neue Langhaus wurde im neugotischen Stil ausgeführt. Außen wurden Gesims und Fenster dem Stil des Chors angeglichen. Die drei Kircheneingänge, je einer im Süden, Westen und Norden, wurden durch seitliche Pfeiler mit Fialen hervorgehoben. Über den Haupteingang im Westen wurde eine Steintafel mit der Inschrift: „Siehe da, eine Hütte Gottes bei den Menschen“ (Offbg. 21.3) eingelassen. Während der Arbeiten stürzte ein Dachdeckergeselle vom Gerüst und erlitt tödliche Verletzungen.
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Die nächste groß angelegte Renovierungsmaßnahme, sowohl innen als auch außen, stand von 1960 bis 1968 an. Am 29. März 1960 stellten die beiden Architekten Gulbransson (München) und Wirth (Schweinfurt) ihre Pläne für eine Außen- und Innenrenovierung dem Kirchenvorstand vor. Als im Juli 1961 Gulbransson tödlich verunglückte, übernahm Baurat Luther (München) zusammen mit Architekt Wirth die Leitung der umfassenden Arbeiten. Dabei verschwand das „Schneckenhäuschen“ an der Südseite des Chorraumes. An der Nordseite wurde eine Außentreppe zum ersten Stock des Turms angebaut. Die Außentür zur Sakristei auf der Ostseite des Chors wurde zugemauert, und die Eingangstüren zur Kirche bekamen Vorbauten. [...]
Bewegt ist auch die Geschichte der Glocken. Die älteste wurde 1558 von Christof Glockengieser in Nürnberg gegossen. Im Ersten Weltkrieg wurde die kleine Glocke, die die Viertelstunden schlug, eingezogen. Von den vier großen Glocken wurden zwei 1942 kriegsbedingt nach Hamburg transportiert. Sie fanden aber 1947 den Weg nach Hause zurück und läuten seit 1948 wieder im Quartett.
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Eine auffallende Veränderung sind die drei bunten Chorfenster des Glaskünstlers Günther Johrend, die 1994 eingebaut wurden. Sie zeigen sechs Themen: Maria Verkündigung, Engel auf dem Hirtenfeld, Jesus betet in Gethsemane, Engel am Grab Jesu bei der Verkündigung der Osterbotschaft, Michael als Drachentöter und Posaunenengel des Jüngsten Gerichts.
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Die Innenausstattung hat sich auch verändert. Der historische Taufstein von 1545 wurde 1872 ersetzt und diente von da an als Blumenschale, steht seit 1986 aber wieder für Taufen zur Verfügung. Die ehemalige Kanzel von 1589 wurde zum Rednerpult. Den Chorbogen hat der Kunstmaler Fritz Griebel 1938 neu gestaltet: Auf der einen Seite das Lamm Gottes mit Kreuz und Friedensfahne, auf der anderen Seite der Erzengel Michael im siegreichen Kampf mit dem Drachen. Der Patron St. Michael war nicht nur der erste der vier Erzengel, er gilt auch als Schutzengel Israels und der Kirche.
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Neben diesen materiellen Veränderungen gab es auch Neuerungen bei den Bräuchen und Sitten. So schafften die Gochsheimer Gemeindemitglieder, nachdem die Renovierungsarbeiten 1968 abgeschlossen waren, die bis dahin herrschende strenge Sitzordnung ab. Geschlecht und Familienstand haben keine Auswirkungen mehr auf den Sitzplatz. [...]Â
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36 Pfarrer und eine Pfarrerin haben in den zurückliegenden 500 Jahren Sankt Michael geleitet. Der 36. Pfarrer, Wolfgang Stumptner, und die erste Pfarrerin, Monika Roth-Stumptner, sind seit 2010 in Gochsheim. [...]
(Schweinfurter Tagblatt vom 18.6.2011, Text: MOZ)