Begegnung mit fränkischer Glaubensart und Esskultur

Impressionen vom Partnerschaftsbesuch aus Seinäjoki / Finnland

Hurra, die Finnen sind da: gemeinsames Tischgebetslied

Schweinfurt, Di. 30. Okt. - Fr. 02. Nov. 2018. Sie wurden eineinhalb Stunden auf die Folter gespannt: 16 GemeindevertreterInnen aus St. Johannis, St. Salvator und der Christuskirche warteten gespannt und geduldig im Martin-Luther-Haus auf das Eintreffen der Besuchergruppe aus Finnland. Aber Verspätungen auf einer Reise von Seinäjoki via Helsinki zum hessischen Flughafen Frankfurt und von da weiter nach Schweinfurt sind halt nun mal einzukalkulieren.

Unter den Wartenden befand sich auch Gerd Müller, der Vorsitzende der deutsch-finnischen Gesellschaft (DFG) Schweinfurt, der derweil anregend über die Entstehung und Entwicklung der Beziehungen Schweinfurts zu Seinäjoki berichtete. Schon neun Jahre, bevor die Stadt Schweinfurt mit diesem westfinnischen Ort eine Städtepartnerschaft begründete – das war 1979 –, habe es bereits Verbindungen dorthin gegeben. Müller gehört dem Bezirksverband seit 1977 an. Natürlich wusste er auch von den freundschaftlichen Kontakten des ehemaligen Diakoniewerkchefs Franz Lauerbach zu erzählen, dessen Grab in Oberndorf er jedes Mal finnischen Besuchergruppen zeigt. Erst im letzten Jahr habe es in Schweinfurt eine große Feier am 6. Dezember anlässlich „100 Jahre Unabhängigkeit Finnlands“ vom russischen Zarenreich gegeben.

Die Partnerschaft auf kirchlicher Ebene zwischen der Kirchengemeinde Seinäjoki und den schon erwähnten Schweinfurter evangelischen Stadtkirchen St. Johannis, St. Salvator und Christuskirche ist hingegen ein erst junges Pflänzlein: Die Initiative dazu ging von der finnischen Gemeinde aus. Ein erster Kennenlern- und Sondierungsbesuch durch vier Gemeindevertreter von dort im hiesigen Dekanat fand vor drei Jahren statt (s. LINK: https://www.schweinfurt-evangelisch.de/inhalt/stippvisite-schweinfurt). Der Abschluss eines Vertrages mit den drei Gemeinden ist gar erst zwei Jahre alt: Exakt am 2. Oktober 2016 unterschrieben deren Pfarrer*innen in Finnland einen „Vertrag über Partnschaftsaktivitäten“ (s. LINK: https://www.schweinfurt-evangelisch.de/inhalt/den-vertrag-mit-leben-fuellen). In § 2 heißt es: „Die Partnerschaftsaktivitäten bestehen [u.a.] aus gegenseitigen Besuchen zwischen den Kirchengemeinden.“

Und nun war es so weit, dass sich eine 28-köpfige Reisegruppe in Schweinfurt angekündigt hatte. Die eineinhalb Stunden Wartezeit spielten da eigentlich überhaupt keine Rolle. Erleichterter Applaus, als sich endlich die Tür öffnete und die Besucher*innen, nach Hotelbezug „wie neugeboren“ (so eine Teilnehmerin), aber natürlich hungrig eintraten. So folgte erst auf das warme Abendessen die Begrüßung. Dekan Oliver Bruckmann euphorisch: „Die Welt steht auf dem Kopf. Grenzen spielen eine immer größere Rolle. Nationen und Menschen schließen sich ab. Aber wir begegnen uns. Glaube verbindet uns. Denn es ist ein Gott, der alle Menschen erschaffen hat.“ Er freue sich aufs gegenseitige Kennenlernen, „dass wir ein paar Tage miteinander als Partner, als Schwestern und Brüder in der einen weltweiten Kirche miteinander verbringen“, und stellte dann das gut gefüllte Programm vor.

Zur Reisegruppe, die sich zusammensetzte aus aktiven Mitarbeitern der Großgemeinde Seinäjoki (u.a. der Präsidentin des Kirchenparlamentes, der Verwaltungschefin und einer Erzieherin), einem Pfarrer im Ruhestand und Gemeindegliedern, zählte auch eine siebenköpfige, junge Gesangsformation. Sie unterhielt während des Abends mit finnischen und englischsprachigen Songs, unter anderem mit dem nachdenklichen Lied „Wanderer“: dass wir alle zwar in dieser Welt, doch letztlich in eine bessere Welt unterwegs seien. Oder das amerikanische Spiritual “Where you there when they crucified my Lord?”. Am Ende eines langen Tages Reise in die Nacht über Schweinfurt erfolgte noch der Dank für die Gastfreundlichkeit mit dem populären Danke-Gesangbuchlied: „Danke für diesen guten Morgen“. Angeblich meinte jemand: „Diese Finnen haben echt Musik im Blut.“

Am Mittwoch standen Führungen in der Altstadt sowie im Museum Georg Schäfer auf dem Programmzettel, aber auch die Möglichkeit, privat Shopping zu gehen, ehe am Abend in der St. Johanniskirche der traditionelle, zentrale Reformationstagsgottesdienst begangen wurde, in welchem Seinäjokis Erster Pfarrer Jukka Salo die Festpredigt hielt (s. extra: https://www.schweinfurt-evangelisch.de/inhalt/amazing-grace-am-reformati...).

Donnerstag, Allerheiligen, war der Tag der weiten Wanderwege mit Besichtigung der Kirchen aller drei Vertragspartner. Schade nur, dass von ihren insgesamt 7000 Gemeindegliedern recht wenige in Erscheinung traten: Im zweitältesten Gotteshaus begann das Sight- bzw. Churchseeing. Pfarrerin Gisela Bruckmann und Kirchenvorsteherin Christa Weinzierl zeichneten die wechselvolle Historie im Zeitraffer nach: wie aus einer Burgkapelle 1412 die Liebfrauenkirche entstand, wie mit Prediger Georg Spalatin die neue Lehre in dieser Kirche und damit zehn Jahre später, 1541, die Reformation in ganz Schweinfurt Einzug hielt; wie 1719 der Neubau St. Salvator geweiht wurde, der wiederum am 27. April 1944 durch eine Phosphorbombe im II. Weltkrieg ausbrannte und wie 1951 der Wiederaufbau, 1958 die offizielle Einweihung der jetzigen Kirche erfolgte.

Nun aber gleich weiter nach St. Johannis, der ältesten Kirche Schweinfurts, deren Turmkapelle, wie Hausherr Dekan Oliver Bruckmann referierte, aus dem 13. Jh. datiert, der Taufstein aus dem Jahr 1367. Dass der bis 1541 katholische Bau „Stilmerkmale aus allen Epochen“ aufweist, also „keine Kirche aus einem Guss“ ist, erkannten auch die Gäste sofort. Bruckmann zeigte typisches Interieur aus der Zeit der Romanik, Gotik, Renaissance, Barock und Klassizismus bis hin zum modernen Altarbild aus dem Jahr 1959. Und II. Pfarrer Andreas Grell ergänzte mit der Aufzählung einer reichhaltigen Palette von St. Johannis-Gemeindeaktivitäten: Gottesdienste, Alten- und Jugendarbeit, Kindergarten und – nicht zu vergessen – die Vesperkirche.

Weiter ging der „Spaziergang“ (lt. Programm) der Gruppe mitten durch den städtischen Friedhof, der an diesem katholischen Feiertag ausgesprochen gut frequentiert war. Ziel: die Christuskirche, hinsichtlich ihrer Fläche und Gemeindegliederzahl (3.800) die größte aller acht evangelischen Kirchen Schweinfurts. Pfarrer Dr. Wolfgang Weich hatte sich Etliches einfallen lassen, um allen Anwesenden in einer geradezu perfekten Performance sein erst vor gut 50 Jahren erbautes (1965), modernes Gotteshaus und das Gemeindeleben nahezubringen: zunächst eine Powerpoint-Präsentation über den Dekanatsbezirk im Allgemeinen, dann über die Christus-Kirchengemeinde im Besonderen; anschließend ein Live-Gruß ihres Jugenddiakons Marc Leistner via Skype, gefolgt von Erinnerungsfotos an den Besuch der Gemeindedelegationen vor zwei Jahren in Seinäjoki und zu guter Letzt noch ein Werbefilm über Christuskirchen-Highlights. Dazwischen stimmten alle zwecks Auflockerung die Finlandia-Nationalhymne von Jean Sibelius, mit christlichem Text unterlegt, an: „Sei still, mein Herz.“

Der dichte Ablauf dieser Stippvisite sah darüber hinaus auch eine Bildpräsentation über die Kirchengemeinde und Stadt Seinäjoki vor. Mit Stolz wurde deren Herzstück, das „Aalto-Zentrum“, 1960–1968 vom finnischen Stararchitekten Alvar Aalto realisiert, vorgestellt. Auch die größte Kirche „Lakeuden Risti“ („Kreuz der Ebene“, 1960) mit 1200 Sitzplätzen darf wahrlich als ein „Wurf“ und Prachtstück bezeichnet werden.

Sodann legte Erster Pfarrer Jukka Salo eindrucksvolle Zahlen über seine aus vier Kapellengemeinden bestehende Großgemeinde vor: Ihr gehören 82,4 Prozent der z.Zt. 62.871 Einwohner zählenden Stadt an, d.h. über 50.000 Menschen. Im Übrigen sind 70 Prozent aller Finnen evangelisch. Vor allem staunten die Schweinfurter darüber, dass 75 Prozent der Gemeindeglieder zwischen 20 und 39 Jahre alt sind, - zweifelsohne eine junge Stadt! Noch dazu astronomische Konfirmandenzahlen: über 600! In St. Johannis und St. Salvator sind es dieses Jahr gerade mal zehn.

Nach so viel Informationsinput – abgesehen vom Laufpensum – kam endlich der Magen zu seinem Recht. Ein wirklich vorzüglich fränkisches Hochzeitsessen wurde serviert. Respekt! Kaffee und Kuchen gab‘s hernach in der Filialkirche „Arche“, 1993 eingeweiht, im zwei Kilometer entfernten Vorort Dittelbrunn, wo die Pfarrerin Donate Molinari die Reisenden über ihre Aufgabenfelder unterrichtete.

Und abends fand gar noch ein fränkisches Mahl statt: Wein und Wurstwaren in Hülle und Fülle. Für die „Weinprobe mit Imbiss“ waren eigens vom Weingut Krämer aus Obereisenheim/Main, einer Dekanatsgemeinde, der Chef der Winzerfamilie Gerd Krämer und die Weinerlebnis-Gästeführerin Margitta Dosch-Sebold gekommen.

Letztgenannte kredenzte und kommentierte höchst unterhaltsam die ausgeschenkten Tropfen. In sechs Etappen ging es durch die verschiedenen angebauten Sorten, angefangen vom noch unausgegorenen Fasswein, einem halbtrockenen Kerner, von heuer, über einen Silvaner, der ersten, 1559 urkundlich erwähnten Rebe in Franken (= „die Identität der Franken“!) und einem aromatischen Traminer, dann einer süßen Auslese bis zum krönenden Abschluss, einem Eiswein aus dem Jahr 2002, sozusagen das Dessert oder Sahnehäubchen der Darbietung. Irgendwann hörte man mit dem Zählen auf, auch als die Musikgruppe noch einmal ihr schmissig arrangiertes „Danke“-Lied zum Besten gab.

Pfarrer Salo bedankte sich im Namen der Gruppe: Sie hätten in Schweinfurt „reiche Tage verbracht“. Vor allem sei er sehr berührt gewesen von der Atmosphäre der Johanniskirche während des Reformationstagsgottesdienstes. Nicht nur essensmäßig „hat man sich um uns gekümmert wie um den Bischof im Pfarrhaus“ - so frei nach einer finnischen Redensart. Salo wünschte den drei Partnergemeinden und allen Familien Gottes Segen; ebenso wünschte Dekan Bruckmann den Gästen eine gesegnete Heimreise am Freitag. Besonderer Dank wurde der Dolmetscherin Sanna Martzahn, Pressereferentin der finnischen Gemeinde, gezollt, die lediglich beim Übersetzen eines etwas skurrilen Friedrich-Rückert-Gedichtes – völlig zu Recht – leicht ins Stocken geriet.

„Ich will dir danken, dass ich danken kann ...“ Der Ohrwurm klang wohl vielen beim Nachhauseweg noch lange nach – und dies über Grenzen, Mauern und Distanzen hinweg.