Welche war die Siegerkirche?

Vierte Nacht der offenen Kirchen in Schweinfurt

Turm der St. Johanniskirche in der Nacht der offenen Kirchen

Schweinfurt, 2./3. Oktober 2015. Ja, welche Kirche mit welchem Programmangebot hat denn nun das Rennen gemacht? Oder darf man diese Frage nicht stellen? Natürlich kann die Antwort nur eine subjektive sein, zumal keine/r der geschätzten 2500 BesucherInnen an allen Attraktionen teilnehmen konnte.

Jedenfalls war auch diese vierte ökumenische „Nacht der offenen Kirchen“ in Schweinfurt ein voller Erfolg, begünstigt von äußeren Umständen wie dem extrem milden, trockenen Wetter und dem Faktum, dass es ein Freitagabend vor dem Feiertag der Deutschen Einheit war. Außerdem schien diesmal das gegenüber den Vorjahren etwas reduzierte Angebot spürbar qualitativ mehr zu sein, da man sich auf maximal zehn Stationen konzentrieren konnte, die weitestgehend im fußläufig erreichbaren Innenstadtbereich lagen. Nicht dabei waren (leider) die Evangelisch-Methodistische Gemeinde, das Kolpinghaus und – aufgrund der Erkrankung des Referenten – der CVJM mit seiner geplanten Kino-Kirche.

Hier nun betontermaßen einige subjektive, zufällige Eindrücke und Schlaglichter:

1. Den offiziellen Beginn der „Nacht“ in der St. Johanniskirche markierten, wie gewohnt um 19.30 Uhr, beide Dekane. Bezug nehmend auf das Motto „Aufgemacht – Aufgewacht“ begann Oliver Bruckmann: „Unsere Kirchen sind offen für alle, die auf der Suche nach gelingendem und erfüllten Leben sind.“ Sich zu öffnen, sei überhaupt eine spannende Sache: „Jede/r von uns ist ein Unikat, eine einmalige Geschichte. Wir alle sind dem Schöpfer lieb und wertvoll.“ Schon im Vorgriff auf das Ende der „Nacht“ erinnerte der Dekan auch an den Fall der innerdeutschen Grenze vor 25 Jahren und versuchte den Brückenschlag zur Gegenwart: „Wie wunderbar ist das, wenn es uns jetzt wieder gelingt, für die Menschen, die bei uns Zuflucht suchen, da zu sein.“ Abschließend erbat er Gottes Segen für die „Nacht“, was Dekan Stefan Redelberger durch ein Gebet unterstrich: „Mehr noch als unsere Kirchen lass unsere Herzen offen sein, dass wir dir, Gott, begegnen!“

2. Und schon ging's „Jung.wild.fromm“ los mit der Young Art Church, wie Dekanatsjugendreferentin Katharina von Wedel und Pfr. Andreas Grell von St. Johannis moderierend erläuterten: „jung“ - weil von jungen Leuten gestaltet, „wild“ - weil es eine Bühne gebe, ferner eine Chill-Out-Sofa-Ecke und eine Cocktailbar, und „fromm“ - weil Gott im Mittelpunkt stehe. Ehe aber die Band Quinity loslegte, wurde eine Foto-Ausstellung eröffnet, für die Julian-Alexander Bauer (21), Vorsitzender der Dekanatsjugendkammer, verantwortlich zeichnete; Titel: „Von Angesicht zu Angesicht“ (oder: „Von Ansicht zu Gesicht“). Bauer zeigte die Konterfeis bekannter Persönlichkeiten des Dekanats, wie sie wohl reagieren würden, wenn auf einmal Gott vor ihrer Tür stünde – eine immerhin interessante Idee.

3. Vielleicht kamen in die riesige St. Anton-Kirche deshalb nicht so viele, weil sie mit „Trommeln gegen die Folter“ geworben hatte. Der Vorbehalt war unnötig, denn fast vierzig Minuten vergingen ohne Trommelwirbel. Auf der Empore untermalte ein Bläserensemble meditativ eine eindrucksvolle dialogische Lesung aus der Passionsgeschichte mit Akzentuierung der Spielarten von Unmenschlichkeit: der Verrat des Judas, die Gewalt eines Jüngers gegen einen Soldaten, der Scheinprozess, Hohn, Demütigung, Folter und Jesu Hinrichtung.

Die Schweinfurter Gruppe von amnesty international war mit einem Stand vertreten und legte ein leidenschaftliches Plädoyer für eine Welt ohne Folter ab: „Selig, die keine Gewalt anwenden!“ In 141 Ländern werde gefoltert. Besonders Irak und Usbekistan, aber auch die USA mit ihrem Guantanamo-Gefängnis wurden an den Pranger gestellt. Nach recht viel Predigt dann doch endlich die Trommeln der Percussionsgruppe Nicholas Stampf, Max Leber und Alexander Fischer – als eine Form des Protestes mit der Impulsfrage: „Auf welche Weise werde ich gegen Folter trommeln?“

4. Noch mit dem mehrfachen Trommel-Echo im Kirchenschiff im Ohr ging's zu einer Stippvisite nach St. Salvator, die als „Kirche der Visionen“ firmierte. Pfarrerin Gisela Bruckmann vermittelte dem etwas spärlichen Publikum gerade ihre Gedanken zu „Gerechtigkeit“: Sie sei nichts Abstraktes, sondern konkret erfahrbar, etwa wenn Hungernde satt würden und Gemeinschaft wachse, so wie dies eben Jesus demonstriert habe. Auch die Pfarrerin stellte Impulsfragen: „Was braucht jemand, damit er in Würde leben kann? Was kann ich dazu tun?“ Ihre Antwort: „so leben, damit es der Würde als geliebtes Geschöpf Gottes entspricht.“ Ansprechend die musikalische Ausgestaltung durch die Panflötengruppe CumPan.

Eine Delegation vom Weltladen (Fair Handeln Schweinfurt e.V.) der Fairtrade-Stadt Schweinfurt stellte sodann ihre Visionen von einer gerechten Welt vor, etwa ein „Stadtgarten-Projekt“ (Urban Gardening) in Würzburg, oder das „Solawi“-Unternehmen: solidarische, ökologische Landwirtschaft; gemeinsame Verantwortung von Erzeuger und Verbraucher mit Förderung des Nachhaltigkeitsdenkens. 87 dieser alternativen Betriebe würde es bereits in Deutschland geben. Die emphatische, zum Teil etwas komplexe Darstellung weckte Erinnerungen an die hochfliegenden Visionen biblischer Propheten von einem universalen Friedensreich. Immerhin prägte sich der Merksatz „Saisonale und regionale Produkte schmecken besser!“ ein.

5. Mit einem unglaublich vielseitigen Programm wartete die Heilig-Geist-Kirche auf. Um es voll zu verstehen, hätte man dort den gesamten Abend verbringen müssen. Denn der Künstlerkreis Schweinfurter Oberland präsentierte sich sowohl mit Bildern, einem musikalisch breiten Spektrum, - erwähnt sei das herausragende Celtis-Saxophon-Quartett „Passion4Saxxes“ -, als auch mit pantomimischen, tänzerischen, akrobatischen und Theater-Darbietungen, - all dies unter dem Thema „Welt der Geheimnisse“. „Was du wünschst, das sei. Das ist das Geheimnis!“ Dies setzte etwa die Freilichtbühne Poppenlauer in mehreren Spielsequenzen anhand des Märchens „Rumpelstilzchen“ um. Remember: wie eine arme Müllerstochter Stroh zu Gold spinnen soll und ihr ein koboldartiges Männlein dabei hilft, aber als Gegenleistung ihr Töchterlein haben möchte, außer sie würde seinen Namen erraten („Ach, wie gut, dass niemand weiß ...“). Kurzum: grandiose Performances!

6. Die nächste Station Ludwigstraße 10 bot gleich zwei „Attraktionen“, zum einen die Gustav-Adolf-Kirche, die sich wieder als Gospel-(und mehr)-Kirche präsentierte. Bereits bei den beiden schmissigen Auftritten des Gospelchors KisSingers aus Bad Kissingen unter Leitung von Kirchenmusikdirektor Jörg Wöltche konnte der Kirchenraum das interessierte Publikum nicht fassen.

Aber auch beim DUDETT waren alle Bänke, Stühle und selbst die Empore komplett besetzt. Wie schon vor zwei Jahren trugen Pfr. Andreas Duft (Euerbach) und seine Gesangspartnerin Claudia Dettmar zum Teil selbst komponierte, sehr innige, introvertierte Lebenslieder vor, zum anderen aber auch bekannte, gefällige Melodien. Das Geheimrezept dieses Duetts besteht – neben ihrer unbestreitbaren stimmlichen Qualität - im musikalisch brillanten Arrangement der Stücke unter Verwendung verschiedenster, teils recht ausgefallener Instrumente.

Nein, an der Bauwagenkirche gleich draußen vor der Kirche kam niemand vorbei. In ihr stellte sich der Kirchliche Dienst in der Arbeitswelt (kda) zusammen mit der Aktionsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen (afa) in Person von Sozialsekretärin Evi Pohl vor. Viele wollten nur einen Blick in die innen holzgetäfelte Kirche mit kleinem Altarbereich werfen, andere informierten sich über die Arbeitsbrennpunkte von kda/afa oder wünschten sich sogar ein gemeinsames Gebet mit Segen von Frau Pohl.

7. Der nächtliche Weg in die etwas abgelegenere St. Kilian-Kirche lohnte allemal. Schon von Weitem erkannte man die Licht-Kirche, deren Glasfenster von innen in verschiedensten Farben angestrahlt wurden. Wie in St. Johannis hatten sich in ihr hör- und sichtbar jüngere Menschen versammelt, denn die Programmgestaltung zur Thematik „Grenzen“ lag in den Händen der dortigen Jugendkirche kross unter Federführung von Regionaljugendseelsorger Günter Kirchner. Beeindruckend ihre Darbietung mittels Lichtorgeln, Strahlern in allen Formen, Farben und Facetten, wohl auch Nebelmaschinen, um eine geheimnisvolle Atmosphäre zu zaubern. Ebenso heizte die Jugendkirchenband mächtig ein.

Ab 23.00 Uhr gab's „Osterlichterloh“: Hier ging's um die allerletzte Grenze, nämlich um die zwischen Diesseits und Jenseits. „Wann kommt die Scheißzeit, die angeblich alle Wunden heilt und wahre Freude und Licht am Ende des Tunnels bringt?“ So provokativ-skeptisch fragte eine Sprecherin im Halbdunkel, um schließlich versöhnlich zu antworten: „Ein kleines Licht sind wahre Freunde, die mit mir gemeinsam diesen Weg gehen. Wegen ihnen kommt bald die schöne Zeit, die alle Wunden heilt.“ So würden durch Hoffnung der – letzten - (Lebens-)Nacht Grenzen gesetzt.

8. Mit diesem Erlösungs-Input ausgestattet, kam einem der Rückweg ins Stadtzentrum zum Rathaus-Innenhof recht kurz vor. Dort, vor knapp hundert nimmermüden Versammelten, endete die „Nacht der offenen Kirchen“ mit einer vom Schweinfurter „Netzwerk Christen“ (u.a. Auferstehungskirche, CVJM, landes- und freikirchliche Gemeinden) organisierten gottesdienstlichen Feier zum „Wunder der Freiheit und Einheit“. Denn genau ab null Uhr am 3. Oktober vor 25 Jahren gab's nur noch ein einig deutsches Vaterland. Untermalt von dezenten Band-Klängen zogen auf einer Leinwand in filmischer Retrospektive noch einmal die Geschichtsetappen vorbei: Ende des Weltkrieges, Entstehung von BRD und DDR, 17. Juni, 13. August, Gorbatschow und Glasnost, die Montagsdemos in Leipzig und der 9. November.

Impressiv berichtete ein aus Neubrandenburg gebürtiger Zeitzeuge, wie sein Heimatort in eine sozialistische Vorzeigestadt ohne Kirchen umgewandelt werden sollte und welche Repressalien er als bekennender Christ erdulden musste.

Der Ostthüringer Christian Schwarzrock, Prediger der Landeskirchlichen Gemeinschaft Schweinfurt, zur Wendezeit erst fünf Jahre alt, zeigte sich dankbar für seinen nur in einem freiheitlichen Land möglichen Werdegang. „Die deutsche Einheit war nicht machbar“, betonte er in seinem Zeugnis, sondern „dazu brauchte es besonders den Heiligen Geist.“

Sodann durften die ZuhörerInnen am frühen Morgen selbst noch aktiv werden und notieren, wofür sie sich persönlich im Hinblick auf die deutsche Einheit dankbar zeigten. Die so beschrifteten Aufkleber befestigten sie an ihren Kerzen, die sie in einer großen Kreuzform platzierten. Mit einem Fürbittengebet, vorgetragen von Dekan Bruckmann, gemeinsamem Vaterunser und dem Choral „Großer Gott, wir loben dich“ fand auch diese Veranstaltung nachts um halb eins einen erinnerungswürdigen Abschluss.

Fazit: Mehr Stationen (Kapelle St. Josef, GesprächsLaden) waren einfach nicht zu schaffen. Und wer ist nun der – subjektive! – Sieger dieser Kirchennacht? Was das technische Equipment mit ihrem „lichterlohen Showdown“ (so die Eigenwerbung) anbelangt, eindeutig die Licht-Kirche St. Kilian! Die beiden Schweinfurter „Haupt“-Kirchen Heilig-Geist und St. Johannis dürften hinsichtlich der gebotenen Programmvielfalt und ihrer Besucherzahlen gleichauf liegen.

Und wer zählt zu den Losern? Diese Frage verbietet sich, denn alle beteiligten Gemeinden haben garantiert ihre Ressourcen – finanziell und personaliter – ausgeschöpft. Zahlen erlauben sowieso keinen Rückschluss auf die Qualität des Gebotenen! Schon Jesus genügten bekanntlich zwei oder drei Leute. Fest steht: In zwei Jahren gibt es die nächste „Nacht“, - dann mit bestimmt neuen Ideen und einer neuen Rangliste. ---

Erinnern Sie sich noch?

Das war die 3. Nacht 2013: https://www.schweinfurt-evangelisch.de/inhalt/dritte-nacht-der-offenen-k...

Und so sah's in der 2. Nacht 2011 aus: https://www.schweinfurt-evangelisch.de/inhalt/nacht-der-offenen-kirchen-...

Und dies war die Premiere 2009: https://www.schweinfurt-evangelisch.de/inhalt/das-war-sie-die-erste-nacht-der-offenen-kirchen-schweinfurt

Â