Von Schornsteinen und Stolpersteinen

Reichspogromnacht-Gedenken in St. Johannis

"Typischer" Stolperstein in Bamberg. Warum gibt es noch keinen in Schweinfurt?

Schweinfurt, 9. November. Wieder fand in der St. Johannis-Kirche das jährliche Gedenken an die sog. Reichskristallnacht von 1938 statt. Der Gottesdienst stand diesmal unter dem Motto: „Von Schornsteinen und Stolpersteinen“.

Ilse Vogel (Weipoltshausen), profunde Kennerin der jüdischen Geschichte Frankens, thematisierte die Problematik der „Stolpersteine“ in der Region Schweinfurt (Schonungen, Maßbach). Diese Gedenksteine sollen an die Vertreibung und Vernichtung vor allem von Juden im Dritten Reich erinnern. Inzwischen wurden deutschland- und europaweit über 50.000 verlegt.

Pfarrer i. R. Manfred Herbert (Gitarre/Geige) und Dr. Olaf Brischwein (Orgel) gestalteten den Gottesdienst dem Kasus angemessen musikalisch aus. Herbert sang ein jiddisches Lied aus der Feder von Mordechai Gebirtig: "Blajb gesunt mir, Kroke!" ("Bleib gesund mir, Krakau") und stimmte mit der Gemeinde das Lied von Schalom Ben-Chorin, des Brückenbauers im christlich-jüdischen Dialog, an: "Freunde, dass der Mandelzweig wieder blüht und treibt".

Pfarrer Dr. Siegfried Bergler predigte über ein Holocaust-Gedicht der jüdisch-deutsch-schwedischen Dichterin und Literaturnobelpreisträgerin Nelly Sachs, s.u. die Predigt als Word-Dokument.

Hier seine Einführung in den Abend:

Liebe Gemeinde: „Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist.“ Deshalb feiern wir diesen Gedenkgottesdienst am 9.11. Wir wissen: Die sog. Reichskristallnacht oder Reichspogromnacht heute vor 77 Jahren war eine weitere Etappe auf dem Weg zur systematischen Auslöschung der Juden in Deutschland und in ganz Europa. Diese Nacht markierte einen deutlichen Einschnitt in der Nazi-Politik: Wurde bis 1938 jüdisches Leben immer mehr eingeengt – Stichworte: Nürnberger Gesetze, Arierparagraph, Bücherverbrennung -, so ging es ab dem 9.11. an die Vernichtung der Juden selber. Die Reichspogromnacht bildete dafür die Generalprobe.

Übrigens: Hier in Schweinfurt begann der Pogrom erst am Morgen des 10. November, als SA-Männer Schaufenster jüdischer Geschäfte einwarfen und das Inventar zerschlugen, - und ebenfalls Wohnungen bekannter Juden verwüsteten. Auch die Synagoge in der Siebenbrückleinsgasse wurde in Mitleidenschaft gezogen, - zwar nicht angezündet, wohl aber ihre Tora-Rollen und Kultgegenstände entehrt. Etwa 30 Juden kamen vorübergehend ins KZ Dachau, unter ihnen auch Schweinfurts letzter Rabbiner Max Köhler, der danach emigrierte. Am 2. Januar 1939 verkündete Oberbürgermeister Pösl stolz: „Sämtliche in Schweinfurt vorhanden gewesenen jüdischen Geschäfte sind erloschen.“

1940 lebten noch 72 Juden in Schweinfurt, 1944 noch drei. An die Juden, die damals abgeholt wurden, erinnern in dieser Stadt aber bis dato noch keine Stolpersteine, anders als in Würzburg oder Bamberg. Europaweit wurden inzwischen mehr als 50.000 verlegt. Man sagt, die Stolpersteine seien das größte dezentrale Mahnmal der Welt. Zur Problematik dieser Steine wird Ilse Vogel uns etwas beitragen. Frau Vogel ist durch etliche Bücher und Vorträge ausgewiesene Kennerin des fränkischen Judentums.

Und ich werde über andere Steine, nämlich Schornsteine, predigen anhand eines Gedichtes von Nelly Sachs. Denn dorthin führte der Weg der Juden nach der Reichspogromnacht. „Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist.“