Unzeitgemäße Betrachtungen über die Zeit

Ausstellung von Christoph Brech in Kooperation mit St. Johannis

Ausstellungswerbung: Die Türen der Zeit öffnen sich

Schweinfurt, 10. Mai 2014. Der Blick bleibt sofort hängen an einem morschen, zerschlissenen Sessel, der sich langsam um die eigene Achse dreht. Um ihn herum sind in mehreren Kreisen dicke Buchschwarten aufgestellt, samt und sonders überholte medizinische Fachliteratur. Ohne Erklärung würde man nicht ahnen können, dass dieses Kunstwerk die Vornamen der Großeltern des Künstlers „Emma und Andreas“ trägt und an deren Wirken in Schweinfurt – der Großvater war Chefarzt – erinnern soll. Freilich liegt alles schon weit zurück; sichtbar nagt deshalb der Zahn der Zeit an den Objekten.

Oder da läuft der Videofilm „La Sosta“ (Der Aufenthalt): Der Betrachter sieht auf einem Bildschirm Scharen von Zugvögeln am abendlichen Himmel über Rom kreisen. Es ist eine scheinbar gewöhnliche, alltägliche Beobachtung, die aber den Blick fürs Detail schärfen und einen Kontrast zur oberflächlichen fast-food-Wahrnehmung bilden will. Es braucht eben Zeit für eine tiefere Sichtweise, für das Erkennen der hintergründigen, vielgestaltigen Gedanken des Künstlers.

Um die Zeit kreist überhaupt die gesamte Ausstellung von Christoph Brech unter dem Titel “it’s about time” („es wird allmählich Zeit“), die in der Kunsthalle Schweinfurt feierlich eröffnet wurde. Brecht, vor 50 Jahren gleich gegenüber im St. Josef-Krankenhaus geboren, lebt mit deutscher und amerikanischer Staatsbürgerschaft fast überall auf der Welt: schwerpunktmäßig in München, aber auch in Rom, Amerika, Kanada … und betätigt sich als „Bilder-Finder“ und „Bilder-Erfinder“. D.h., er arbeitet – klassisch – mit der Staffelei, aber genauso mit Kamera und Video-Installation. So gilt er als einer der wichtigsten zeitgenössischen Video-Künstler, der subtil Malerei in Bewegung bringt.

Als Preisträger der Triennale Schweinfurt II 2012 hat Brech sozusagen diese monografische Ausstellung, die bis zum 14. September im ehemaligen Ernst-Sachs-Bad zu seinen Ehren zu sehen sein wird, „gewonnen“ und ist aus diesem Grund nach über vier Jahrzehnten hierher zurückgekehrt. Schweinfurts OB Sebastian Remelé umriss Brechs Oeuvre mit den Ausdrücken „Choreographie des Zufalls“ und „interessanter Blick auf die Kunstgeschichte“.

Da Brech sogar die nichtöffentlichen Bereiche der Vatikanischen Museen hatte fotografieren dürfen, hielt der eigens aus Rom angereiste Kunstdirektor dieser Museen, Professor Dr. Anton Nesselrath, die Laudatio. Die Retrospektive sei eine Zeitreise durch die Biographie des Künstlers und diene seiner eigenen Standortbestimmung. Die eigens für Schweinfurt geschaffene Installation „Emma und Andreas“ nannte er süffisant ein „familiäres Stonehenge“.

Zeit sei ein ergiebiges Thema der Kunst, denn „Zeit wechselt, endet, lässt sich manipulieren und hat mit Ewigkeit zu tun.“ Mit Worten des Dichters Thomas S. Eliot ausgedrückt: “If all time is eternally present, all time is unredeemable.” Nesselrath sprach aber auch die Problematik der Vergänglichkeit und Konservation moderner Kunst an, besonders die der Videotechnik. Daher stelle Brechs Werk ephemere (vorübergehende, flüchtige) Kunst dar, z.B. sein 40 Jahre altes VW-Käfer-Cabriolet gleich im Eingangsbereich: Zwar sei das Auto jetzt Kunst, aber wenn der Künstler damit nach München heimreise, sei es wieder ein Auto.

Nicht nur in der großen Halle im Erdgeschoss und im Salong des Kunstvereins im ersten Stock befinden sich Fotos des Künstlers, vor allem ungewöhnliche Blicke auf Rom, - auch der Chorraum der St. Johanniskirche dient als Ausstellungsort. Dr. Erich Schneider, Leiter der Museen und Galerien der Stadt Schweinfurt, dankte explizit Dekan Oliver Bruckmann für die freundliche Zusammenarbeit. In St. Johannis ist ein Videoporträt des Baritons Wolfgang Koch zu sehen: der (Bayreuth-)Sänger in verschiedenen Rollen, u.a. als Wotan und Hans Sachs.