Erinnerung an Familie Lefkovits und Aufruf zur Wachsamkeit
Schweinfurt, 11.11.2014. Während am Sonntagabend in Berlin die große Feier zum 25. Jahrestag des Mauerfalls die Straßen füllte, schlug man zeitgleich in Schweinfurt leisere Töne an: In zwei Veranstaltungen ist den Opfern der Pogromnacht 1938 gedacht worden, in der auch in Schweinfurt und Umgebung Juden drangsaliert, geschlagen, beraubt und verhaftet worden sind.
Elisabeth Böhrer, die seit Jahrzehnten die jüdische Geschichte der Region sowie die Schicksale hiesiger Juden während des Dritten Reichs erforscht, berichtete beim Gedenkgottesdienst in der St.-Johannis-Kirche über die Familie Lefkovits aus der Frauengasse. Vor etwa 100 Gläubigen, so viele wie selten bei diesem Ereignis, machte Böhrer die Geschichte erstmals öffentlich.
Der in Ungarn geborene Nathan Lefkovits war zwar protestantisch, galt aber nach den Nazi-Rassegesetzen als Jude. Er ließ sich mit seiner Familie 1920 endgültig in Schweinfurt nieder. Ihm gelang es danach nicht, die deutsche oder eine andere Staatsbürgerschaft zu erhalten. Wegen der fehlenden Papiere scheiterte die Familie in den 30er Jahren mit ihrem Auswanderungsversuch. Nur den beiden Söhnen Ludwig und Timor gelang die Ausreise nach Brasilien. Die staatenlosen Nathan und Berta Lefkovits wurden zusammen mit ihren Töchtern Lisbeth und Melitta 1942 deportiert und wahrscheinlich im gleichen Jahr im Raum Lublin ermordet.
In der Pogromnacht 1938 ist nach Böhrers Zeitzeugenbefragung auch die Wohnung der Lefkovits' in der Frauengasse demoliert worden. Danach ist Nathan Lefkovits auf die Straße gegangen, hat die Urkunde für sein Eisernes Kreuz erster Klasse, das er für den Einsatz im Ersten Weltkrieg erhalten hatte, aus dem Rahmen genommen und sie vor aller Augen zerrissen.
Im Gottesdienst setzte sich der evangelische Pfarrer Siegfried Bergler theologisch mit der Beziehung von Christentum und Judentum auseinander. Der Kern: Ohne den jüdischen Glauben gäbe es den christlichen gar nicht: „Jesus war kein Christ und starb als Jude.“ Bergler macht seine These fest an der Tatsache, dass das Alte Testament in beiden Religionen verankert sei, und am Glauben an den gleichen Gott. „Wir müssen uns sehen als Kinder einer jüdischen Mutter.“ Daraus folgert der Geistliche: „Jeder Angriff auf Juden ist auch einer auf Jesus.“
Mit der Kirche als Institution ging Bergler hart ins Gericht: Ohne die 2000 Jahre alte Feindschaft der Kirche gegenüber Juden – im Glauben, die biblische Wahrheit für sich gepachtet zu haben – wäre der Christen nicht möglich gewesen. „Judenfeindliche Polemik“ sei Teil der christlichen Verkündigung gewesen – auch in den Schriften Martin Luthers. Deswegen sei es heute wichtig, Opfern Namen und Gedächtnis zu geben. Nur wenn Schuld eingestanden werde, sei sie auch vergebbar, sagte Bergler.
Ebenfalls am Sonntagabend gedachte die SPD am Mahnmal in der Siebenbrückleinsgasse, dem damaligen Standort der Synagoge, den Opfern der Novemberpogrome. Landtagsabgeordnete Kathi Petersen erinnerte daran, dass zwar die Synagoge nicht Flammen aufgegangen, aber dennoch entweiht worden ist. Die Übergriffe in Deutschland seien „bewusste Inszenierungen des Regimes“ gewesen, die von der Gesellschaft überwiegend stillschweigend hingenommen worden sei. Sie mahnte, dass das Geschehene nicht vergessen werden dürfe.
Petersen zog Parallelen zu heute. Dass sich angesichts von Rechtsextremen und Salafisten jüdische Mitbürger nicht mehr sicher fühlten, müsse „uns alle alarmieren“. Antisemitismus und Rechtsextremismus seien eine politische Herausforderung für alle Demokraten: „Wir alle sind zu Zivilcourage aufgefordert, wenn es um die Verteidigung der Demokratie geht.“ Petersen begrüßte es, dass die Stadt auf Anregung der „Initiative gegen das Vergessen“ den Platz um den Gedenkstein so umgestaltet hat, dass „das ehrende Gedächtnis sinnfälligen Ausdruck findet“.
(aus: Schweinfurter Tagblatt vom 11.11.2014, S. 28; Text: Josef Schäfer; Fotos: Bergler)
- siehe unten: die PREDIGT
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Predigt von Dr. Siegfried Bergler | 40.5 KB |