Andrea Balzers packende Interpretation der "Mass for Peace" durch Kantorei und Orchester
Schweinfurt, Sa. 16. Juli 2016. "Wir haben die Friedensmesse 'The armed Man' des zeitgenössischen Komponisten Karl Jenkins bewusst zum 150. Todestag Friedrich Rückerts aufs Programm gesetzt“, erklärt Dekan Oliver Bruckmann vor der Aufführung in der St. Johanniskirche. Rückerts Wort „Weltpoesie allein ist Weltversöhnung“ bedeute ja Offenheit für Sprachen und Kulturen. Jenkins wolle eine Versöhnung der Religionen, sagt Bruckmann. Deshalb müsse man sie schon beim Namen nennen, auch jene mit einer gewaltbereiten Seite.
Jenkins habe seine Friedensmesse den Opfern des Kosovokrieges gewidmet, in dem Muslime und Christen einander totschlugen. So sei der Gebetsruf des Muezzins „Allahu akbar“ ein Teil seiner Messe, stehe direkt neben dem christlichen „Kyrie“. Diese Tatsache hatte in mehreren Orten, an denen die Jenkins-Messe aufgeführt worden war, zu Störungen durch islamfeindliche Aktivisten geführt. Davon war an diesem Abend in Schweinfurt nichts zu spüren.
Dagegen wird es ein großer Erfolg für Kirchenmusikdirektorin Andrea Balzer und ihre St. Johannis-Kantorei, für das Kammerorchester Pfaffenhofen, für die Holzbläser-, Blechbläser- und Perkussionsgruppen sowie für die Mezzosopranistin Anna Haase von Brincken. Zart und schmal steht Andrea Balzer vor diesem großen 100-köpfigen Ensemble, in monatelanger Probenarbeit hat sie mit ihrem Chor, einer eingeschworenen Gemeinschaft, jedes Detail dieses klang- und emotionsgeladenen Werks erarbeitet. Jetzt gilt es. [...]
„The armed Man - der bewaffnete Mann“ heißt auch das erste Stück von Jenkins Friedensmesse. Noch aus der Ferne hört man Militärmusik, Trommeln, Piccoloflöte, Trompete. „Muss man den bewaffneten Mann fürchten?“ fragt der Chor zunächst zaghaft, dann in einem aufgeregten Fugato mit dem Orchester. Der unerbittliche 4/4-Takt wird immer bedrängender, ein vibrierendes Crescendo eines drohenden Unheils baut sich auf.
Dann erklingt vom Tonband der Ruf des Muezzins zum Gebet „Allahu akbar - Gott ist groß“. Direkt darauf folgt das „Kyrie - Herr, erbarme dich“ aus der Liturgie der griechischen Messe. Beten Muslime und Christen wirklich zum selben Gott? In „Hilf mir gegen die Blutgierigen“ greift der a-cappella-Männerchor die Bitte um Erbarmen auf, doch das Gebet wird jäh von einem gewaltigen Paukenschlag – eine erste Bombendetonation – zerrissen. Ein merkwürdiges „Sanctus – Heilig“ folgt: Trommel- und Trompetensignale, militante Töne und Marschrhythmen begleiten den Ruhm Gottes und führen direkt in den Krieg.
Im „Lobgesang vor der Schlacht“ (Text: Rudyard Kipling) bitten die Kämpfenden Gott: „Gib für den Tod uns Kraft.“ In „Charge – Angriff“ treiben Trommeln und Trompeten die Männer ins Gefecht, angespornt von den Frauenstimmen: „Wie selig ist der, der für sein Vaterland stirbt.“ Mit musikantischem Gespür und Können hat Jenkins die nun folgenden Schreckensbilder einer Schlacht in Musikdramatik umgesetzt. Und in Andrea Balzer hat er dabei eine ideale Interpretin, die die farbige und expressive Partitur zur vollen Wirkung bringt. Lautes Kampfgeschrei, an- und abschwellende Schreie der Sterbenden, stampfende Rhythmen schaffen beklemmende Hörbilder von Entsetzen und höllischem Inferno. Stille. Eine Trompete (Bernhard Kimmel) intoniert „The last Post“.
Der Krieg ist vorbei, nicht das Grauen. „Zornige Flammen“ ist ein Text des Japaners Toge Sankichi, der am 6. August 1945 den Abwurf der Atombombe über Hiroshima erlebte. Anna Haase trägt mit ihrer warmen Stimme seinen ergreifenden Bericht vor: „Von der Wolke breitet sich ein Leichentuch über die Stadt, Menschen auf allen vieren werden zu einem Haufen glimmender Asche“. Auch in „Torches – Fackeln“ geht es um den grausamen Tod durch das Feuer.
Aufatmen bringt das liebliche „Agnus Dei“, voller Demut erklingt die Bitte um Tilgung der Sünde, Trompeteneinwürfe wecken Erinnerungen. „Nun, da die Waffen schweigen“ behält diese Stimmung: Anna Haase trauert als überlebender Soldat um einen gefallenen Kameraden, und sie singt diese Zeilen voll schlichter Eindringlichkeit. Nach einer wunderschönen Cello-Kantilene setzt der Chor zum jubelnden „Hosanna in excelsis“ im „Benedictus“ ein.
Und im abschließenden „Besser ist Frieden“ läutet das große St. Johannis-Ensemble mit Pauken, Trompeten und Glocken tausend Jahre Frieden in der Gegenwart Gottes ein. Als Schlusspunkt das a cappella gesungene tröstliche „Gott wird abwischen alle Tränen“.- Geschafft. Langsam beginnen sich die Mienen der Mitwirkenden zu entspannen. Die Beifallsstürme reißen sie aus ihrer Konzentration. Und die stehenden Ovationen des Publikums werden mit einem da capo des letzten Chorals belohnt. Ein großes Konzert.
(aus: Schweinfurter Tagblatt vom 19. Juli 2016, S. 27; Text: Manfred Herker; Fotos: Bergler)