Im Status eines Gastpredigers

Abschied von Pfarrer Jochen Wilde an Neujahr

Erinnerung an die Erlöserkirche - vor der Renovierung

Bad Kissingen, 1. Januar 2015, 10.00 Uhr. Die Eingangsklänge mit Händels Feuerwerksmusik für Trompete und Orgel (KMD Jörg Wöltche) weckten die Erinnerung an die noch nicht lang zurückliegende Jahreswende. Eigentlich ein unmöglicher Termin, nicht nur nach einer für die meisten recht kurzen Neujahrsnacht. Von daher war die Erlöserkirche anlässlich der Verabschiedung ihres Pfarramtsführers leider nicht proppenvoll. So aber wurde es ein kontemplativer, stiller, unpretentiöser Gottesdienst, an dem viele seiner predigtfreien Kolleginnen und Kollegen aus dem Dekanat teilnehmen konnten.

Immerhin zehn Jahre, seit dem 1. September 2004, hatte Pfarrer Jochen Wilde hier gewirkt. Fünf Jahre war er auch Stellvertretender Dekan. Oberstaufen – Eichstätt – München – Ergolding (Landkreis Landshut) – Bad Kissingen: So hießen die bisherigen Stationen des 54-Jährigen. Ja, Pfarrer Wilde ist beruflich schon weit herumgekommen. Und nun die Kreuzkirche mitten in der München-Schwabinger Szene, 320 Kilometer entfernt, wie er betonte und wo er an eben diesem 1. Januar schon anfangen sollte.

Zum letzten Mal auf „seiner“ Kanzel stehend, sah er sich darum augenzwinkernd im Status eines Gastpredigers. Seinem Rückblick auf besagte zehn Jahre legte er die Jahreslosung 2015 zugrunde: „Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob“ (Römer 15,7). Doch: „Wie könnte ich einen anderen annehmen, wenn ich mich selbst nicht annehme?“ fragte er. Bekanntlich habe Heilung immer mit Selbstannahme zu tun. Es gelte, Ja zu sagen zum eigenen Leben inklusive der Erfahrungen des Scheiterns.

Das gelinge uns aber nur deshalb, weil ein anderer längst Ja zu uns gesagt habe und uns täglich neu annehme, wozu die Vergebung gehöre. Im Übrigen inkludiere Annehmen auch Aufnehmen. Von daher beinhalte die Losung sogar eine soziale, politische Sprengkraft.

Dann blickte Pfr. Wilde autobiographisch, streiflichtartig zurück auf den 12.9.2004: den Tag seiner Einführung in Bad Kissingen, wo zugleich seine Frau Astrid als Katechetin gesegnet wurde. „Kaum zu glauben, was sich inzwischen alles getan und verändert hat!“ Er musste nämlich erst einmal die Gemeindefinanzen ordnen und Rücklagen aufbauen. Dann geriet auch noch das Diakonische Werk Bad Kissingen in Schieflage. Mit viel Kraft und Mühe bewahrte er – zusammen mit dem Schweinfurter Diakonievorstand Jochen Kessler-Rosa – es vor der Insolvenz und rettete 48 Arbeitsplätze. Zufrieden zeigte er sich ferner über seine Organisation des Dekanatskirchentages 2011 (s. https://www.schweinfurt-evangelisch.de/830.php), über die schönen Kantaten- und Gospelgottesdienste und die vielen Kunstausstellungen in der Erlöserkirche. Als misslungen betrachtete er, dass 2008 die Ausstellung „Eros und die Gottesfrage“ verhindert wurde. Wilde bat um Vergebung, „wo ein Wort getroffen statt getröstet hat“. Aller Blick solle aber nun nach vorn gerichtet und von Zuversicht geprägt sein. Der heimliche „Zar von Kissingen“ schloss mit den Worten des letzten Bayernkönigs Ludwig III.: "Grüßen Sie mir Bad Kissingen. Ich habe dort herrliche Tage verlebt."

Betont herzlich verabschiedete Dekan Oliver Bruckmann seinen Stellvertreter, den er als „umsichtig“, „sorgfältig“, „mit Weitblick“ charakterisierte. „In deinen Händen lag in besonderer Weise die Leitung der Kirchengemeinde, und zwar der größten im Dekanat Schweinfurt.“ Diese habe Wilde mit seinem Team, trotz vieler personeller Wechsel in den zehn Jahren, mit Bravour gemeistert. Er lobte sowohl seine Verkündigung der Annahme durch Christus als auch die Gestaltung des Gemeindelebens, „dass wir einander annehmen“. Kurzum: „Du hast Kirche in deiner Stadt gelebt und positioniert.“

Darüber hinaus listete der Dekan noch Wildes Arbeit als Kurseelsorger, hier im Besonderen seine Zusammenarbeit mit der Staatsbad GmbH, sein „Herz für die Diakonie“ und seine Tätigkeiten in der Dekanatssynode, im Dekanatsausschuss und Pfarrkapitel auf. Er dankte ebenso Astrid Wilde für ihre Dienste als Pfarrfrau, Religionslehrerin und ihr Engagement in der Brasilienpartnerschaft.

Beiden überreichte er zwei antiquarische Bände über die Geschichte des evangelischen München quasi zum Kundigmachen über die dort etwas andere Situation als in der beschaulichen Kurstadt. Dann entpflichtete er formell Pfr. Wilde von allen Aufgaben im Pfarramt wie im Dekanat Schweinfurt und segnete ihn samt Frau.

Die Vertretung in der Pfarramtsführung während der nun beginnenden Vakanzzeit wurde Pfarrerin Christel Mebert (Bad Kissingen III) übertragen. Pfrin. Mebert führte denn auch den Gottesdienst mit Fürbittengebet, Vaterunser und Segen zu Ende.

Zu den Grußrednern zählte in gewohnter Weise Pfr. Dr. Wolfgang Weich, der Senior des Pfarrkapitels. Er würdigte den geschätzten, wichtigen Kollegen, der in vielen Gremien vertreten war. Insbesondere hob er die Qualität von dessen Andachten hervor.

In Vertretung von Dekan Keßler betonte Kaplan Paul Reder von der katholischen Nachbarpfarrei „Herz Jesu“ die Impulse, das Profil und den Einsatz von Pfr. Wilde für die „ökumenische Bewegung“.

Am Ende gab’s gar noch einen musikalischen Abschied. Auf Initiative von Diakon Joe Hofmann hatten alle Mitarbeitenden der Erlöserkirchengemeinde ihre „kreative Ader entdeckt“ und trugen einen eigenen Songtext, unter anderem über die übliche Dienstbesprechung Wildes in früher Mittwoch-Morgenstunde, ironisch vor: „Wieder in freundlichem Ton“ – nach der Udo-Jürgens-Melodie „Aber bitte mit Sahne“.

Während Astrid Wilde noch in Bad Kissingen bleiben und ihr Schuljahr zu Ende führen wird, dürfte Pfr. Wilde gleich nach München abgedüst sein, wo man seiner schon ungeduldig harrt. Währenddessen sucht der Bad Kissinger Kirchenvorstand schnellstmöglich einen neuen Mann oder neue Frau, welche/r die sichtbar dringende Renovierung der Kirche angeht und zudem noch klug haushaltet.