Stahlplastik von Thomas Röthel
Schweinfurt-St. Johannis, So., 18. Dez. 2016. Eigentlich hielt Pfarrerin Gisela Bruckmann den Gottesdienst und stellte Gedanken zum gesungenen Gemeindelied „Es kommt ein Schiff geladen“ sowie über den Lobgesang der schwangeren Maria an. Denn Lukas, Kap. 1, 46-56 ist die Schriftlesung am vierten Advent.
Aber was lag näher, als an diesem Sonntag der vier Kerzen auch über das Licht zu sprechen? „Ein Licht anzünden für das, was wir auf dem Herzen haben“, so die Pfarrerin, oder „in Gedanken an Gott oder einfach aus Dank heraus“, wie ihr Mann, Dekan Oliver Bruckmann, anschließend ausführte, um zur „Inbetriebnahme“ eines neuen Kunstwerkes in St. Johannis überzuleiten.
So würden sich beispielsweise viele Kirchenbesucher wünschen, an irgendeiner Stelle persönliche Gebetsanliegen niederschreiben zu können. Deshalb sei nun, auf Beschluss des Kirchenvorstandes, vor der Turmkapelle - das heißt, nicht gleich für jedermann einsehbar - solch ein geschützter Ort installiert worden.
Den dafür ausgeschriebenen Künstlerwettbewerb hatte Thomas Röthel gewonnen. Der 1969 geborene, zum Holzbildhauer ausgebildete, an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg studierte „Meisterschüler“ und seit 1998 freischaffend tätige Künstler hat sich auf die Herstellung von Stahlskulpturen spezialisiert. Kurzum: Er ist Stahlbildhauer! Seine „Handschrift“ ist zu erkennen in Ansbach, Rostock, Neu-Ulm, im Münster Heilsbronn, auf der Insel Mainau und so weiter. Etliche Galerien präsentieren seine Exponate. Auch in Schweinfurt ist Röthel kein Unbekannter: Auf dem Vorplatz vor der Kunsthalle war bereits eine Leihgabe aus der Serie „Segmentbogen“ zu sehen, und im dortigen Innenhof steht seine Plastik „Vertikale Entwicklung 90 Grad“.
Der ehemalige Schweinfurter Kulturamtsleiter Dr. Erich Schneider bezeichnete Röthels Kunstwerke als „Poesie in Stahl“ bzw. als „Gestalt gewordene Physik“ - in frappanter Einfachheit, gepaart mit schlichter Monumentalität. Ein stählerner Block werde im glühenden Feuer bei mindestens 1200 Grad erhitzt und dann durch Drehen oder Biegen in eine vom Künstler kontrollierte, neue Form gebracht.
In Röthels Atelier in Mitteldachstetten bei Ansbach ist auch sein neues, für St. Johannis konzipiertes Kunstwerk, wie die meisten anderen aus massivem, rostrotem Stahl bestehend, entstanden. Es setzt sich aus zwei separaten Teilen zusammen: einer aufrecht stehenden Stele mit brennender, weißer Kerze obenauf und, etwa einem Meter entfernt, aus einer Hülle, die als Ablage für das Gästebuch und zum Abstellen der an der großen angezündeten kleinen Kerzen dient – sichtbarer Dank an Gott.
„Hülle und Kern: Liegendes und Stehendes. Sterbliches, Entseeltes einerseits und Bleibendes andererseits. Oder auch: der Kontrast von Tod und Auferstehung.“ So die theologische Deutung des Dekans in Anlehnung an meditative Worte von Wiltrud Wößner. „Stahl ist ein festes, schweres Material. Es steht so fest und unverrückbar wie Gottes Wort. Sein Himmel steht allen offen.“ Laut Dekan ist aber damit in der St. Johanniskirche, die Kunstwerke aus vielen Jahrhunderten beherbergt, zugleich auch ein Akzent des 21. Jh. gesetzt worden.
Nun also besteht die Möglichkeit, nicht nur in diesem Gotteshaus innezuhalten, sondern auch Gebete, Fürbitten, Dankesworte in würdevollem, intimem Rahmen niederzuschreiben und eine kleine Kerze zu entzünden. Dies praktizierte die Gemeinde denn auch sofort und platzierte ihre brennenden Teelichter auf der Stahlplastik. Unterschriftartig, wie das Amen im Gebet, schloss der Dekan: „Gott sieht. Gott hört. Gott weiß. Gott kennt. So steht es fest.“