Gedenkandacht am Gedenkort für die ehemaligen Zwangsarbeiter
Schweinfurt, 28. September 2015. Bereits zum vierten Mal fand eine Gedenkstunde auf den Oberndorfer Wiesen beim ehemaligen Barackenlager Mittlere Weiden statt. Dort war am 25. September vor vier Jahren der „Gedenkort“ zur Erinnerung an die über 10.000 Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter während des Krieges in Schweinfurter Betrieben eingeweiht worden.
Damit werde Erinnerungskultur gestiftet und die Geschichte als ein Teil der eigenen Biographie wahrgenommen. So umriss Pfarrerin Christhild Grafe / Kreuzkirche Oberndorf den Zweck der von ihr organisierten Andacht am Jahrestag. Ãœber vierzig Personen hatten sich eingefunden, die meisten von ihnen Konfirmanden samt ihren Pfarrerinnen und Pfarrern aus den evangelischen Schweinfurter Gemeinden der Auferstehungs-, Christus-, Dreieinigkeits-, Kreuzkirche sowie aus St. Johannis und St. Salvator.
Diesmal lautete das Thema „Befreiung“, da vor siebzig Jahren Deutschland von der NS-Ideologie befreit worden war. „Heute wollen wir uns befreien von Vorurteilen, dass Menschen weniger wert oder anders seien“, so Grafe unter Hinweis auf die aktuelle Asylanten- und Flüchtlingsproblematik.
Damit sich die Jugendlichen eine Vorstellung von der Situation der Zwangsarbeiter machen konnten, waren an vier „Stationen“ Informationstafeln mit Erinnerungen Überlebender angebracht, zu denen es Fragen zu beantworten galt. Zum Beispiel, wie alt sie waren, als sie nach Deutschland verschleppt wurden (15, 18, 19 Jahre), welche Art von Arbeit sie - in den Kugellagerwerken, in Küchen, in der Landwirtschaft - verrichten mussten oder auf welche Weise man ihre Menschenwürde verletzte: etwa durch Freiheitsberaubung und Prügelstrafen.
Sachkundig und sehr eindrücklich schilderte anschließend Klaus Hofmann, Sprecher der „Initiative gegen das Vergessen“, das Leiden der Zwangsarbeiter: ihren Hunger, die fehlende feste Kleidung im Winter, die zehn- bis zwölfstündige Arbeit am Tag, darüber hinaus schutzlos nächtlichen Bombenangriffen ausgesetzt. Aus dieser leidvollen Geschichte gelte es zu lernen, keine diskriminierenden Vorurteile zu haben, sich endgültig von der Vorstellung des „Herrenmenschentums“ zu verabschieden und die Flüchtlinge aus Syrien und anderswo, die sich bei uns befreit fühlten, wie Menschen zu behandeln. „Engagiert euch für Toleranz“, lautete sein Appell an die Adresse der jungen Menschen.
Da das Wort „Befreiung“ neun Buchstaben zählt, wurden neun Rosen auf die Sandsteinbank, die den goldenen Schriftzug „Die Menschenwürde ist unantastbar“ (Grundgesetz, Art. 1) trägt, niedergelegt. Unter anderem sollten sie erinnern an das dort geschehene Unrecht, an die Täter sowie diejenigen, die damals wegschauten, ferner zur Wachsamkeit aufrufen und die Hoffnung vermitteln, dass Wunden heilen und Frieden zwischen den Völkern auf der Erde einkehren möge.
Musikalisch ausgestaltet vom Gemeindereferenten der Auferstehungskirche Johannes Michalik, wurde die Gedenkstunde traditionell mit dem gemeinsam gelesenen „Stuttgarter Schuldbekenntnis“ vom 18./19. Oktober 1945 beschlossen. Darin gestand der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland ein, während der NS-Diktatur „nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt“ zu haben. 70 Jahre danach hat dieses Bekenntnis an Aktualität und Wahrheitsgehalt nur gewonnen.
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