100 Minuten Produktpalette des Dekanats

"Ohrenschmaus" serviert Ohrwürmer in der Vesperkirche

Selbst St. Johannis-Kanzel-Mose geht mit der (Vesperkirchen-)Zeit.

Schweinfurt, 28. Jan. 2016. „Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen“, ließ schon der weise Goethe im „Faust“ sagen. Und genau das traf auf den Benefizabend zugunsten der Vesperkirche in St. Johannis zu. Wie bereits im letzten Jahr erfolgreich erprobt (s. LINK 2015: https://www.schweinfurt-evangelisch.de/inhalt/vesperkirche-am-limit), hatten sich wieder musikalisch hochbegabte Pfarrerinnen und Pfarrer des Dekanates zusammengetan, um unter dem Motto „Ohrenschmaus“ Bekanntes, weniger Bekanntes und noch nie Gehörtes zu offerieren.

Dass bereits eine Viertelstunde vor Beginn alle Bankreihen belegt waren und deshalb rasch noch Vesperkirchen-Stühle im Mittelgang und in den Seitenschiffen aufgestellt werden mussten, dokumentierte die große Erwartungshaltung des Publikums – und zeugte natürlich auch von der Beliebt- und Bekanntheit der Pfarrerinnen und Pfarrer.

In seiner Begrüßung betonte Dekan Oliver Bruckmann hochfliegend, dass Vesperkirche nicht nur geteiltes Essen bedeute, sondern sogar ein Vorgeschmack auf den Himmel sei. Mit den Worten „Genießen Sie heute Abend den 'Ohrenschmaus' und „Bühne frei“ überließ er sodann den Künstlern das Feld.

Die Präsentation der „Produktpalette“ des Dekanats (so der Ausdruck von Pfr. Ullrich Kleinhempel) begann fetzig-spritzig – und zwar mit dem Jazz-Kanon und Ohrwurm “Once again“ des elfköpfigen Geistlichen-Chors unter Leitung und Flügelbegleitung von Kirchenmusikdirektorin Andrea Balzer als der zwölften Mitwirkenden. „Ba dubi duwa du bi da“ - so oder so ähnlich lautete die Message, es noch einmal zu tun, eben “the same procedure as last year“. Aufgrund des tollen Arrangements war schon jetzt großer Applaus garantiert und das Auditorium entsprechend motiviert.

Nun folgten erst einmal leise Töne mittels zwei Altblockflöten, dargeboten von Pfrin. Donate Molinari und Pfr. Dr. Marcus Döbert, sowie Basso Continuo, wieder mit KMD Balzer. An Johann Sebastian Bach führt offenbar bei Kirchens kein Weg vorbei. An diesem Abend sollte aber noch Älteres auf dem Programm stehen: Die Pfarrerinnen Christhild Grafe und Grit Plößel führten nämlich eine Sonate des kaum bekannten Barockkomponisten Jean Baptiste Loeillet de Gant um 1700 auf. Wer nicht in der ersten Reihe saß, musste schon sehr genau hinhören.

Der Auftritt des DuDetts, bestehend aus dem Duo Claudia Dettmar und Pfr. Andreas Duft, wartete mit selbst gedichteten und komponierten, einfühlsamen Worten und Melodien auf. Um Liebe ging's „In kleinen Dingen“, natürlich um Glauben in „Irgendwann fängt der kleine Glaube an“ wie auch in „Der Himmel ist näher, als du oft meinst.“ Die beiden präsentierten später noch aus selbst gebastelten Instrumenten so etwas wie Dudelsack-Klänge, angeblich mit Frischhaltefolie erzeugt. Unverkennbar haben sie ein Faible für ausgefallene Klangkörper.

Pfr. Manfred Herbert sorgte für melancholisch-ernste Worte und dissonante Töne auf seiner Gitarre. Denn er erinnerte an die Befreiung des Lagers Auschwitz-Birkenau vor 71 Jahren und mit zwei jiddischen Liedern an den Tischler und Dichter Mordechaj Gebirtig aus dem nahen Krakau, den die SS 1942 ermordete, weil er sich seiner Deportation widersetzte.

Geradezu ein Wunschkonzert eingängiger Evergreens setzte den kurzweiligen Abend fort. Wer hört und pfeift nicht gerne die Titelmelodie des Films „The Entertainer“ mit, unterdrückt nur mühsam die Tränen beim irischen Abschiedssong „Danny Boy“ oder schunkelt beim mexikanischen „Cielito Lindo“ mutig mit! Und dabei akustisch wie optisch auf- und gefällig der professionelle, virtuose Geigenstrich von Pfr. Dr. Wolfgang Weich.

Wenn Vater und Sohn beziehungsweise Mutter und Tochter gemeinsam auftreten, bietet sich allemal ein anrührendes Bild – und Klangbild dazu. Pfr. Duft am Flügel und sein Sohn Felix mit Trompete zollten Louis „Satchmo“ Armstrong Tribut mit “What a Wonderful World“, und Pfrin. Gisela Bruckmann mit Tochter Alexandra schlüpften in die Rolle von Hänsel und Gretel beim ergreifenden „Abendsegen“ mit den 14 Engeln von Engelbert Humperdinck. Ja, wie gerne hätte man die in der Oper anschließende, grandiose „Traum-Pantomime“ noch gehört!

Den Schlusspunkt nach dem Segen markierte noch einmal der Auftritt des PfarrerInnen-Chors, der „Ba dubi duwa du bi da“ vom Anfang wiederholte; “once again“ prägt sich bekanntlich besser ein. In gekonnter Performance schritten die Sänger dabei durch das Publikum zum Ausgang und ließen Andrea Balzer am Flügel allein zurück. Somit war eine Zugabe nicht mehr möglich, auch wenn der Beifall schier unendlich war.

100 stramme Minuten ohne Pause! Ein Potpourri aus fast allen Stilrichtungen, Zeiten, Ländern, Klängen und Rhythmen, Geistliches und Weltliches. Wie gesagt: „Wer vieles bringt ...“. Doch das Besondere dieses Abends und eigentlich Applaus-Würdige war die individuelle Note, die deutlich zum Ausdruck kam, die Authentizität der Ausführenden. Eben keine Nummernrevue aus dem Lehrbuch, kein fertiges Programm aus dem Katalog, keine Profitruppe, die durch die Lande tingelt. Noch dazu haben die Pfarrerinnen und Pfarrer viel Herzblut und Freizeit – wenn's die überhaupt gibt – in die Probenarbeit investiert. Eine Zuhörerin fragte zu Recht: „Haben denn diese Künstler nicht auch noch einen anderen Beruf?“

Ãœbrigens: Die Konzerteinlagen beliefen sich auf 1588 Euro. Die Vesperkirche dankt und freut sich schon auf den Ohrenschmaus 2017.

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