Romantischer Kantatengottesdienst für Herz und Sinne

Kantatengottesdienste haben lange Tradition im Kissinger Sommer

Felix Mendelssohn Bartholdy-Kantate in der evangelischen Erlöserkirche Bad Kissingen; hier mit Sopranistin Cora Bethke

Bad Kissingen, 23. Juni 2013 (klk). „Wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser, so schreit meine Seele, Gott, zu dir.“ So beginnt die romantische und sinnliche Kantate „42. Psalm op. 42 ‚Wie der Hirsch schreit’ (MWV A 15)“ von Felix Mendelssohn Bartholdy, die in der evangelischen Erlöserkirche Bad Kissingen aufgeführt wurde. Die Ausführenden waren das Kammerorchester Bad Kissingen, Cora Bethke (Sopran) sowie der Würzburger Madrigalchor und Johannes Strauß (Orgel). Die musikalische Leitung hatte Kantor Jörg Wöltche.

Kantatengottesdienste haben seit Anfang an einen festen Platz im Rahmen des Kissinger Sommers. Sie bürgen stets für anspruchsvolle Kirchenmusik und ansprechende Gottesdienstgestaltung. So auch am jetzigen Sonntag. Mit einer romantisch und emotional ansprechenden Kantate und einem Gottesdienst für Herz und Sinne, der von Stadtpfarrer Jochen Wilde gestaltete wurde, konnte die Seele wieder einmal so richtig baumeln.

Am 28. März 1837 heiratete Felix Mendelssohn Bartholdy die Pfarrerstochter Cécile Jeanrenaud. Mendelssohns Vertonung des 42. Psalms entstand größtenteils 1837 während seiner Hochzeitsreise, die das junge Ehepaar u. a. durch das Elsass und den Schwarzwald führte. Der erste, zweite und sechste Satz entstand in Freiburg im Breisgau, der Schlusschor wurde durch seinen Freund Ferdinand Hiller später in Leipzig angefügt. Die Psalmkantate wurde zu Lebzeiten des Komponisten häufig aufgeführt und auch vom selbstkritischen Mendelssohn als eine seiner besten Kirchenkompositionen eingeschätzt. Sein Kollege Robert Schumann bewertete 1837 den 42. Psalm als „die höchste Stufe, die Mendelssohn als Kirchenkomponist, ja die neuere Kirchenmusik überhaupt, erreicht hat“.

Der wunderbar weich getönte Eingangschor verarbeitet das vom Chor-Alt vorgestellte Thema mit dem schönen poetischen Bild des Hirsches, der nach dem Wasser schreit, und der Seele, die nach Gott verlangt, kontrapunktisch, mit homofon bekräftigenden Einwürfen und einem verinnerlichten A-cappella-Abschnitt am Schluss. Das Sopransolo ist gegliedert in ein Adagio-Arioso mit solistischer Oboe, ein Accompagnato-Rezitativ und ein mitreißendes Allegro-assai-Arioso.

Ein bejahender Chor, der Elemente der Mehrchörigkeit aufnimmt, bildet den Mittelteil des Werkes. Er stellt - zunächst einstimmig und gleichsam psalmodisch in Tenören und Bässen - streng und knapp, in Frage und Antwort die Quintessenz des Psalms hin: „Was betrübst du dich ... Harre auf Gott!“ Ein kürzeres Sopran-Arioso mit rezitativischen Einschüben malt mit seiner instrumentalen Figuration die „Wasserwogen und Wellen“, die über den Psalmsänger hinwegtoben - ein Bild für seine Verlassenheit fern von Gott. Einen starken Kontrast der Milde und Gottergebenheit bietet hierzu ein Soloquartett mit Männerstimmen. Über dem Soloquartett stimmt der Solosopran immer wieder seinen Klageruf der Gottferne an, wobei - unaufdringlich, aber doch deutlich genug - im Orchester die Wogen-Motivik des vorangehenden Satzes aufgenommen wird.

Eine bezaubernde Aufführung, die durch ihre Perfektion glänzte, wobei Orchester, Chor sowie die Sopranistin Cora Bethke durch ihre schöne Stimme überzeugten.

Pfarrer Jochen Wilde ging bei seiner Predigt auf die Kantate und den Psalm ein, erläuterte diese und war voll des Lobes für den Komponisten: „Mit allen Mitteln der Kunst vermittelt uns Mendelssohn einen Eindruck von den Dissonanzen eines gläubigen Herzens; von den widersprüchlichen Stimmen, die von innen und von außen tagtäglich die fromme Seele bedrängen und verunsichern. Genauso dissonant, unstimmig – wie gelegentlich die persönliche Lebensempfindung! Wenn wir die Kantate hören, hören wir etwas von uns selbst! Wir hören etwas, was in uns ist; was uns, was mich, was Sie innerlich bewegt. Wir hören etwas von den Spannungen, den Brüchen, den Widersprüchlichkeiten des Lebens, die wir aus eigener Erfahrung nur zu gut kennen!“

Ein überaus gelungener Kantatengottesdienst, der den sehr guten kirchenmusikalischen Ruf der Erlöserkirche wieder einmal bestätigte.

Text und Fotos: Peter Klopf