Bekannte Lieder für unbekanntes Publikum

Zweiter Sonntagsgottesdienst in der Vesperkirche

Joint Venture: Pfrin. Susanne Rosa und ihr Mann Pfr. Jochen Keßler-Rosa

Schweinfurt, 25. Januar 2015. Selbst am Sonntag herrschte der schon zur Gewohnheit gewordene Andrang auf Plätze in der Vesperkirche. 480 Menüs sollten es diesmal werden. Zunächst mussten sich aber alle in den Bänken gedulden und den Gottesdienst mitfeiern. Abgesehen von den Stamm-Gemeindemitgliedern dürfte mehr als die Hälfte die St. Johanniskirche zum ersten Mal so richtig von innen gesehen haben.

Kirchenmusikdirektorin Andrea Balzer gab sich alle Mühe und intonierte bekannte Choräle wie „Lobe den Herren“ und „Morgenglanz der Ewigkeit“. Doch die meisten Besucherinnen und Besucher waren einfach froh, noch irgendwo einen Platz – auch ohne Gesangbuch – gefunden zu haben. Wie zu erwarten, gab es gegen Ende des Gottesdienstes, kurz vor der üblichen Öffnung der Vesperkirche um 11.30 Uhr, hinten beim Eingang nur noch zahlreiche Stehplätze. 

Pfarrer Jochen Keßler-Rosa, Vorstand des Diakonischen Werkes, Mitorganisator und Mitsponsor der Vesperkirche, begrüßte alle an „dem Ort, wo es gute, gesegnete Begegnungen gab und gibt“. Zusammen mit seiner Frau, Pfarrerin und Krankenhausseelsorgerin Susanne Rosa, gestaltete er diesmal die Sonntagsfeier.

Beide hielten eine Dialogpredigt über die Erzählung von Mose am brennenden Dornbusch (2. Mose 3,1-17), - laut Frau Rosa „ein tolles Wort für diesen Tag“, da es einen zugewandten Gott schildere, „der für seine Menschenkinder brennt“ und „der dich aus der Knechtschaft (in Ägypten) zur Freiheit geführt hat“. Für Pfr. Keßler-Rosa ist Ägypten Chiffre für (seelische) Bedrückung, etwa für Länder, in denen Menschen heute unterdrückt werden wie Syrien, Eritrea und Somalia. „Ägypten“ sei aber auch „die Einsamkeit der alten Dame, die üblicherweise allein essen muss“, „die Geldnot des Mannes, der sich keine warme Mahlzeit leisten kann“, „die Traurigkeit vieler Mitmenschen, die gar nicht damit rechnen, freundlich am Kircheneingang begrüßt zu werden.“

Und damit waren die beiden beim Thema „Vesperkirche“ angekommen: Mose habe sich anstecken lassen von einem leidenschaftlichen Gott, der Leib und Seele satt machen wolle. Gott habe ihm eine Tür geöffnet, und Moses „Hier bin ich“ sei dessen Bereitschaftserklärung gewesen, sich auf Neues einzulassen. Natürlich seien im Vorfeld Argumente dafür und dagegen ausgetauscht worden, ob Kirche mit Vespern zusammengehe, doch habe man Jesus zum Vorbild genommen, der sich immer wieder mit Leuten, die ganz anders waren, an einen Tisch setzte.

Keßler-Rosa bekannte: „Mir ist Gott in Ludwigsburg begegnet, als ich beim Hospitieren in der dortigen Vesperkirche den Geist der Tischgemeinschaft spürte.“ Gott sage allen – der einsamen Frau am Mittagstisch, genauso wie dem Armen und dem Behinderten: „Ich gehe mit dir, ich sehe dich, führe dich. Du bist nicht allein.“

Vesperkirche sei „gelebte Kirche“. „Wir sind glücklich, dass in der Vesperkirche etwas zu spüren ist vom Reich Gottes. Wir sind gemeinsam statt einsam unterwegs.“

Dieses glühende Plädoyer für das Projekt in St. Johannis, gleichsam direkt am brennenden Dornbusch, sprach spür- und sichtbar vielen aus der Seele, auch wenn der Weg zu den Tischen noch nicht freigegeben wurde.

Denn Dekan Oliver Bruckmann verabschiedete erst noch den Mesner und Hausmeister von St. Johannis, Karl Diezel, der mit Ablauf des Monats Januar in den Ruhestand tritt. Der Dekan dankte ihm „für alle Arbeit, die sichtbare und unsichtbare“, während der vergangenen 18 Jahre und segnete ihn.

Aber dann durfte man in guter, reglementierter Ordnung nach vorne kommen und vespern, unter anderem herzhaften Sauerbraten. Nein, da kam keinerlei Sehnsucht zurück nach den Fleischtöpfen Ägyptens auf, sondern man war im Gelobten Land angekommen, „darin Milch und Honig fließt“ (2. Mose 3,17).

Pfr. Harald Deininger von der Auferstehungskirche am Bergl sprach gegen 13.00 Uhr „das Wort in der Mitte“. Auch er thematisierte Jesu Essen mit Menschen am Rande der gutbürgerlichen Gesellschaft. Jesus habe sich sogar selber eingeladen beim Zöllner Zachäus. „Mit fremden Menschen an einem Tisch sitzen? Lassen auch wir uns auf die ein, die wir hier treffen?“ Deininger ermutigte, auf andere zuzugehen und zu hören, was sie zu sagen haben. „Vielleicht begegnet uns dabei Jesus.“

Auf jeden Fall darf man sich nun schon in der zweiten Woche in der St. Johannis-Vesperkirche begegnen.