Jörg Wöltche begeisterte mit berühmter Orgelsinfonie
Bad Kissingen, Sa. 7. Juni 2014 (klk). Der französische Organist und Komponist Charles-Marie Widor (1844-1937) begründete die neue Orgelschule Frankreichs, machte Paris mit der Orgelkunst Johann Sebastian Bachs bekannt und wurde vor allem als glänzender Improvisator an seinem Instrument bewundert. Seine Orgelsymphonien stellen den Versuch dar, Prinzipien der Orchestermusik auf die Orgel zu übertragen.
Mit der 5. Orgelsinfonie in f-Moll, op. 42 Nr. 1 stand am Pfingstsamstagabend in der Bad Kissinger Erlöserkirche das berühmte Werk Widors auf dem Programm. Ihr letzter Satz (Toccata) ist, neben Johann Sebastian Bachs Toccata und Fuge d-Moll BWV 565, eines der bekanntesten Werke der Orgelmusik. Selbst „Orgelmuffel“ kennen und lieben sie - die Toccata. Weitgehend unbekannt geblieben ist, dass sie nur den Schluss und die Krönung einer veritablen „Symphonie“ bildet, die aus insgesamt fünf farben- und melodiereichen Sätzen besteht.
„Es war wieder einmal an der Zeit, ein großes, anspruchsvolles Werk einzustudieren, und Widor eignet sich ganz gut für die Steinmeyer-Orgel“, sagt Kirchenmusikdirektor Jörg Wöltche. Der erste Satz in f-Moll mit der Tempoangabe variiert ein Thema von marschartigem Rhythmus. [...] Der zweite Satz zeichnet sich durch eine traumhaft schöne „cantabile“ Melodie aus, die in As und A-Dur durchgeführt wird. Die besondere Schwierigkeit liegt darin, dass an einigen Stellen die rechte Hand auf zwei Manualen zugleich zu spielen hat. Schwebungen und zarteste Register kommen zum Einsatz, die Oboe d’Amore wechselt sich mit der schönsten Flöte ab, um die Melodie in allen Variationen zu zelebrieren.
Der dritte Satz ist ein Walzer im Allegretto, der mit verschiedenen virtuosen Pedalsoli glänzt. Der vierte Satz ist ein zartes Adagio, bei dem die deutlich zu hörende Flöten-Melodie im Pedal, am Ende des Satzes dann im rechten Fuß des Doppelpedals liegt. Meditative Ruhe verklingt in zarter Ruhe, bevor das grandiose Finale angestimmt wird.
Der fünfte Satz beendet die Sinfonie mit einer triumphalen F-Dur-Toccata im 4/2-Takt. Sein harmonisches und motivisches Material ist einfach. Er beginnt mit schnellen, hohen Sechzehnteln im Manual, die als Perpetuum mobile den Satz unaufhörlich vorantreiben. Kontrastiert wird diese Bewegung durch markante Akkordrepetitionen in der linken Hand. Nach einer ersten Vorstellung des Themas legt sich die Pedalstimme in breiten, Ton für Ton voranschreitenden punktierten Vierteln und Achteln im Abstand von zwei Oktaven darunter.
Virtuos und beeindruckend interpretierte Jörg Wöltche dieses phänomenale Werk. Stimmungsvoll im Detail gut ausgearbeitet bezauberten die eingearbeiteten Melodien und erzeugten ein ausgesprochenes „Gänsehautfeeling“ bei den Zuhörern. „Das Schwerste an diesem Werk war für mich nicht die Musik mit ihren hohen Anforderungen, sondern das physische Durchhalten, weil die Tastatur des Manuals bei dieser Orgel sehr schwergängig ist. Die achtminütige Toccata wurde für eine leichtgängige Orgel geschrieben. Die Stellung des Satzes innerhalb der Orgelliteratur ist einzigartig. In ihm werden alle technischen Innovationen des damaligen Orgelbaus vorgeführt, die ein solch schnelles perpetuum-mobile-Motiv und die fließenden dynamischen Übergänge überhaupt erst ermöglichten - diese technischen Hilfen fehlen allerdings gänzlich bei der Steinmeyer-Orgel“, erläutert Wöltche zum Abschluss. Einziger Wermutstropfen: Dieses melodische, spätromantische Werk hätte mehr Zuhörer verdient.
Text und Foto: Peter Klopf