Zweiter Schweinfurter Diakonie-Pflegekongress
Schweinfurt, Sa. 17. Januar 2015. Nachdem der erste Pflegekongress „sehr gut angekommen“ sei, wie Dr. Barbara Mayerhofer von der Geschäftsleitung Altenhilfe in der Pressekonferenz zum Ausdruck brachte, habe das Diakonische Werk (DW) Schweinfurt nun zu einem zweiten Kongress ins Konferenzzentrum Maininsel eingeladen (s. Bericht vom 1. Kongress: https://www.schweinfurt-evangelisch.de/inhalt/eine-pionierleistung). Immerhin unterhält das DW in der Region acht stationäre Einrichtungen und 10 ambulante Pflegedienste. Den mehr als 200 Teilnehmenden wurden am Vormittag drei Vorträge geboten. Nachmittags sollten sie in vier Workshops selbst zu Wort kommen. „Ohne Sie wären wir allein hier.“ Moderatorin Dr. Mayerhofer hatte damit vollkommen recht. Doch schon eingangs appellierte sie an das Auditorium, junge Menschen für den Pflegeberuf zu begeistern, denn „wir brauchen Nachwuchs“.
Sie konnte „Bayerns beliebteste Politikerin“ als Schirmherrin begrüßen: Barbara Stamm, seit 2008 Präsidentin des Bayerischen Landtags. In ihrem Grußwort sagte sie: „Pflege ist für mich kein Fremdwort“, sodann direkt den Anwesenden zugewandt: „Sie haben in unserer Gesellschaft mit all den Herausforderungen Wertschätzung nötig und sollen sie erfahren.“ Ohne freilich allzu konkret zu werden, ging Frau Stamm auf die Problematik der Zeit ein: „Sie brauchen Zeit, um sich den Menschen in Ihrer Verantwortung zuzuwenden.“ Leider erfordere zudem die Bürokratie der Pflegedokumentation viel Zeit. „Auch das Thema Bezahlung ist noch nicht zu Ende.“
In der anschließenden, besagten Pressekonferenz begrüßte DW-Vorstand Jochen Keßler-Rosa die Landtagspräsidentin: „Sie prägen die bayerische Soziallandschaft seit Jahrzehnten.“ Frau Stamm bedauerte, dass die Verweildauer im Pflegeberuf viel zu gering sei, dagegen die Fluktuation zu groß. Auf die Journalistenfrage, wo denn das Geld für die Pflege einer immer älter werdenden Bevölkerung herkommen solle, antwortete sie, dass der Pflegeversicherungsbeitrag erhöht werden, aber die Sozialversicherung „gestaltet“ (d.h. gegebenenfalls wohl reduziert) werden müsse. Jede und jeder solle bitte rechtzeitig mit der Altersvorsorge anfangen.
Die Präsidentin schnitt sodann das Thema der Sterbehilfe an. Es sei wichtig, dass Menschen an der Hand von Menschen begleitet würden und nicht durch eine Hand ihr Leben beendet würde. Angesichts der Möglichkeiten heutiger Palliativmedizin und auf jedes Krankheitsbild speziell zugeschnittener Schmerztherapie sprach sie sich gegen aktive Sterbehilfe aus, wobei sie sogar mit dem „Schöpfergedanken“ argumentierte: „Das Leben ist uns geschenkt. Da gehören Leid und Krankheit dazu.“ Natürlich müsse das Ehrenamt gerade in der Hospizarbeit „uns etwas kosten“.
Im Rahmen der Pressekonferenz stellte Matthias Matlachowski, zum DW-Leitungsteam Altenpflege gehörig und Mitorganisator der Großveranstaltung, schließlich noch das Diakoniebildungsinstitut vor, dem es um fachliche Fortbildung, z.B. im Umgang mit Demenzerkrankten, und um die Stärkung der Führungskompetenzen zu tun ist.
Den Anfang der drei Vortragenden machte Professor Gerhard Igl, geschäftsführender Vorstand des Instituts für Sozialrecht und Sozialpolitik in Europa. Der Jurist aus Kiel informierte über „Aktuelles zur Reform der Pflegeausbildung“ und warb für eine generalistische Ausbildung sowie für eine künftige (fach-)hochschulische Qualifikation von bestimmten Gesundheitsfachberufen, etwa der Kranken-/Altenpflege, mit Bachelor-Abschluss.
Ein Plädoyer für ein Leben im Alter in Privatheit, in Gemeinschaft und in der Öffentlichkeit legte sodann Dr. Peter Michell-Auli, Professor für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre an der Apollon-Hochschule der Gesundheitswirtschaft in Bremen, ab. Der gesellschaftliche Trend zur Individualisierung, Autonomie und Selbstbestimmung – kontra Konformismus und Fremdbestimmung – sei auch in der stationären Altenhilfe zu beherzigen. Zum Beispiel werde dort oft das Individuelle durch Kontrollverluste geschwächt, was bis zum Verlust des Selbst führen könne. Michell-Auli sprach sich daher für das Appartementkonzept mit kleiner Einbauküche und Rückzugsraum anstelle der Einzelzimmer-Realität aus. Auch eigene Möbel mitzubringen, sei ein Ausdruck der Persönlichkeit. Früher habe man von der „Verwahranstalt“ gesprochen, vom „Krankenhaus“ oder vom „Wohnheim“. Als Alternative zum Leben im Pflegeheim biete sich heutzutage die Wohnform der Hausgemeinschaft, vor allem das Quartierhauskonzept, an: Man bleibt in seinem Lebensumfeld, im Stadtteil oder in der Gemeinde wohnen. In der Aussprache ging es um das – für den Professor lösbare! – Problem der Finanzierbarkeit all dessen.
Am beschwingtesten und völlig frei sprach der letzte Referent, Dr. Hans Förstl, Professor für Psychiatrie & Psychotherapie/TU München, über das ernste Thema Demenz, das er wie folgt definierte: „Verlust der geistigen Fähigkeiten von solcher Schwere, dass der Alltag nicht mehr wie gewohnt bewältigt werden kann.“ Schon der weise Ägypter Ptah-Hotep habe vor 4500 Jahren diese Krankheit gekannt und deshalb geschrieben: „Das Herz erinnert sich nicht an gestern.“ Demenz sei im Bauplan des Lebens vorprogammiert, bei vielen sogar das Risiko, daran zu erkranken, angeboren: „Unser Schicksal liegt auch in den Genen.“ Hunderte von Ursachen könnten zu Demenz führen, am häufigsten die Alzheimer Krankheit. Eine ungesunde Lebens- und Ernährungsweise, zudem Diabetes und Bluthochdruck, fördere sie; auch bestehe ein Zusammenhang zwischen Depression und Demenz. Impfstrategien und Medikamente könnten nur etwas aufschiebend wirken. Professor Förstls nüchternes, reelles Fazit: „Demenz muss sein und wird es immer geben. Was uns vor Demenz schützt, ist der frühzeitige Tod.“
Auffällig war, wie viele hernach beim Mittagessen Fisch statt Fleisch wählten und sich auch tüchtig am angeblich gesunden Salatbüfett bedienten.
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