Kleine Schritte zum gesellschaftlichen Fortschritt

Aufrüttelnde Tischreden beim Frauenmahl

Das FESTMAHL-Plakat

Schweinfurt, Sa. 11. Nov. 2017. Zum 29. Mal luden die evangelischen Dekanatsfrauenbeauftragten zum Jahrestreff ein, diesmal ins Martin-Luther-Haus in Schweinfurt. „Wir bitten zu Tisch!“ Auch wenn das Beisammensein am 11.11. um 11.00 Uhr mit einem Sektempfang begann, ging es doch nicht um Eröffnung der neuen Faschingssaison, sondern um ein ökumenisches Frauenmahl am Martinstag.

Vorsitzende Brigitte Buhlheller führte dazu in ihrer Begrüßung der über sechzig aus den 27 Dekanatsgemeinden gekommenen Frauen aus, dass sie im Jahr des Reformationsjubiläums bewusst die alte Wittenberger Tradition aufgreifen wolle. Denn Martin Luther habe Gastmahle in Kombination mit Tischreden gefeiert, wobei auch die „Lutherin“ Käthe aktiv involviert gewesen sei.

Ebenfalls hob Dekan Oliver Bruckmann in seinem Grußwort hervor, dass ein wichtiger Aspekt der Reformation die Frage der Ökonomie, des Haushaltes, der Ehe, Familie, kurzum das Alltagsleben gewesen sei. Luther habe einen der größten Haushalte in Wittenberg geführt; 35 bis 50 Menschen gehörten immer dazu. War in Klöstern bei den Mahlzeiten Schweigen verordnet, so gab es hingegen bei Luthers nach dem Essen Tischreden. Mit deren schriftlicher Aufzeichnung sei aber zugleich ein subjektives Lutherbild, nämlich das des stand- und bibelfesten Theologen, transportiert worden.

In Büffetform wurde sodann den Dekanatsfrauen ein Drei-Gänge-Menü mit Produkten aus heimischer Region, geliefert von der Metzgerei Geeb, offeriert: Kürbissuppe und kalte Platte als Vorspeise, eine warme Hauptspeise mit Braten oder vegetarisch und zum krönenden Abschluss Kaffee und selbstgebackener Kuchen. Dazwischen fanden Tischreden zur Rolle der Frau in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft statt. Hierfür konnten Helga Taeger, Referentin der Evang.-Luth. Kirche in Bayern für Frauen und Ökumene, und Dr. Julia Dinkel, Referentin für Arbeit und Soziales im Zentrum Gesellschaftliche Verantwortung der Evang. Kirche von Hessen und Nassau gewonnen werden.

Helga Taeger begab sich zunächst auf eine erhellend informative, teilweise aber auch frustierende Erinnerungsreise in die Vergangenheit. Sie setzte ebenfalls mit der Reformation ein, die nicht nur eine Männersache gewesen sei, wie z.B. Argula von Grumbach bewiesen habe, - eine Frau, die gegen den Strom der Zeit schwamm. Die Industrialisierung im 19. Jh. führte zur Auflösung herkömmlicher Strukturen; nunmehr wurden Arbeiten und Wohnen getrennt. Das Aufkommen der Frauenbewegung an der Wende zum 20. Jh. - eine Pionierin war die Frauenrechtlerin Clara Zetkin - bewirkte organisiertes Eintreten für gleiche bürgerliche und politische Rechte, auch für Bildungsgleichheit. 1908 wurden Frauen zum Hochschulstudium zugelassen, 1918 erhielten sie aktives und passives Wahlrecht. Dann aber ab 1933 der Rückschlag: die Auflösung der Frauenverbände und das von der Partei propagierte Rollenbild der Nur-Ehefrau und Mutter, die „dem Führer ein Kind schenkt“.

Darum begann nach dem Zweiten Weltkrieg erneut der Kampf der Frauen um Gleichberechtigung. So war es dem unermüdlichen Einsatz der Politikerin Helene Wessel mit zu verdanken, dass die sog. „Väter des Grundgesetzes der Bundesrepublik“ in Artikel 3 aufnahmen: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“. Trotzdem sah man in den 50er Jahren des letzten Jh. die Selbstverwirklichung der Frau einseitig noch auf Familie und Kindererziehung fokussiert, von daher eine etwaige Berufstätigkeit nur als vorübergehend an.

Erst im Rahmen der Studentenbewegung der 60er Jahre kam eine neue Frauenkultur (§ 218, Pille!) auf, Frauenhäuser und Beratungsstellen bei sexueller Gewalt entstanden. Die evangelische Landeskirche in Bayern war die vorletzte EKD-Gliedkirche, die im Jahr 1975 die Frauenordination einführte.

Die aus Schweinfurt gebürtige promovierte Politologin Julia Dinkel ging in ihrer Tischrede zum Thema „Wie Frauen Zukunft gerechter gestalten können“ exemplarisch auf zwei Problembereiche ein:

- Vereinbarkeit von Familie und Beruf: Erwerbsarbeit sei Frauen wie Männern gleich wichtig, aber auch die Familie. Wie lasse sich beides zum Wohl der Kinder miteinander kombinieren? Kinder seien eben keine Maschinen, die man einfach an- oder abschalten könne. Vielmehr müsse Familienpolitik enger mit der Arbeitspolitik verzahnt werden. Dr. Dinkel schilderte dazu das niederländische Modell des sog. „Papa-Tages“: Eine gesetzlich sechs Monate gewährte Familienzeit lasse sich auf mehrere Jahre verteilen und ermögliche somit auch dem Mann einen freien Tag pro Woche. Hierzulande müssten staatliche und kirchliche Kitas flexiblere Arbeitszeiten – nicht nur von Montag bis Freitagmittag – anbieten und spezielle Kinderbetreuungsangebote für junge Familien machen. Auch die wöchentliche Vollzeitarbeit lasse sich von 39 auf 32 Wochenstunden reduzieren.

- „Care“-Arbeit, worunter u.a. Kindererziehung, häusliche Pflege oder Altenbetreuung zu verstehen sind. 80 Prozent des Care-Personals seien immer noch weiblich. D.h., Frauen leisteten viel Arbeit für die Gesellschaft, stünden aber am Ende rentenmäßig als die Dummen da. Deshalb plädierte Frau Dinkel für eine stärkere gesellschaftliche Anerkennung der Care-Arbeit. „Was ist uns die Sorge um andere wert?“ Man müsse mutig und kreativ sein, wobei sie an Mehrgenerationenhäuser und an organisierte Nachbarschaftshilfe dachte. „Lauter solche kleinen Schritte führen zu gesellschaftlichem Fortschritt.“

Dann trat noch einmal Frau Taeger ans Redepult, um nach ihrer Vergangenheitsschau einen Zukunftsblick und für Frauen wie Männer wichtige Visionen in Form von Appellen zu wagen:

- Die Vergangenheit ist nicht tot. Bitte nicht Erinnerungen verdrängen, denn nur lebendiges Geschichtsbewusstsein lässt auch Veränderungen der eigenen Geschichte zu.

- Nicht Ungerechtigkeiten hinnehmen oder über festgefahrene Zustände jammern, sondern sich einmischen, sich nicht den Mund verbieten lassen, Veränderungen planen und dafür Verbündete suchen.

- Frauensolidarität lernen und einüben, wozu auch gehört, dass man Konkurrenzen offen austrägt und die Verschiedenheiten untereinander anerkennt. Vorsicht vor Pauschalurteilen, denn: „Keine Frau ist jede Frau.“

- Forderung nach Geschlechterdemokratie und gerechter Teilhabe

- Männer üben keine Gewalt gegen Frauen aus; Kinder erleben keine sexuelle Gewalt mehr.

- Trotz Anerkennung der geschlechtsspezifischen Unterschiede müssen traditionelle Rollenbilder abgebaut werden. „Wir erziehen starke Töchter und bringen unseren Söhnen weiche Gefühle bei.“

- Last but not least: „Wir machen das 21. Jahrhundert zum ‚Jahrhundert der Frauen‘.“

Wie spontane, immer wieder von Beifall begleitete Äußerungen in der Schlussrunde zeigten, stieß gerade letztgenannter Punkt bei den Hörerinnen auf überaus große Resonanz. Vier schier im Flug vergehende Stunden währte dieses von genauso gehaltvollen Redeteilen umrahmte opulente Frauenmahl. Anschließend wurde eingeladen, die Ausstellung „475 Jahre Reformation in Schweinfurt“ im Gunnar-Wester-Haus gegenüber zu besuchen.